„Über den heutigen Titel redet morgen keiner“

■ Nach dem Meistertitel läßt Dortmund A-Jugend-Talenten noch Zeit zum Reifen

Lüdenscheid (taz) – So haben's alle BVB-Fans gerne: Die Meisterfeierlichkeiten nehmen in Dortmund überhaupt kein Ende mehr, nachdem im sonntäglichen Finale um den deutschen A-Jugend-Titel die Borussia Bayer Leverkusen mit 2:0 geschlagen hat. Bereits in den letzten beiden Jahren hatte Borussia je eine Jugendmeisterschaft gewonnen. Diese Trophäen interessieren aber kaum jemanden, relevant wird die Jugendarbeit erst, wenn Talente es in den bezahlten Fußball schaffen, auf dem Transfermarkt Geld bringen oder eben wertvolle Titel einfahren – wie etwa jüngst der sogenannte „Baby-Sturm“ Lars Ricken und Ibrahim Tanko.

Daß Borussia und Leverkusen im Finale standen, ist kein Zufall: Die beiden stellen zur Zeit die effektivsten Nachwuchsabteilungen der Republik. Mit Michael Skibbe (29), A-Jugend-Coach und Junioren-Koordinator in Personalunion, kommt einer der Dortmunder Macher gar von Schalke 04. In seiner Jugend kickte Skibbe gemeinsam mit Illgner und Häßler in der U18-Auswahl, nach vier Kreuzbandrissen in Serie war aber bereits mit 20 Schluß.

„Über den Titel redet doch schon morgen keiner mehr“, sagt Skibbe. „Wir sind ein Ausbildungsbetrieb, keiner der Jungs ist heute da, wo er hin will.“ Der Mann ist darauf bedacht, seine Spieler behutsam an den Profifußball heranzuführen. Fast das gesamte Meisterteam kommt aus der näheren Umgebung, und die heimischen Westfalen kümmern sich bestens um ihre auswärtigen Teamkollegen. Ibrahim Tanko bewohnt beispielsweise immer noch ein Appartment beim A-Jugend- Keeper Matthias Kleinsteiber. Der 17jährige Vladimir Bout aus Nowosibirsk, 1:0-Torschütze vom Sonntag, lebt beim BVB-Platzwart Hartmut Vogt, dessen Sohn Dennis ebenfalls in der A-Jugend spielt. Unpersönliche Spieler-Internate sind in Dortmund verpönt.

Anders in Leverkusen. Hier sind die 18jährigen Ghanaer Daniel Addo und Sebastian Barnes in sogenannten Sportschulen untergebracht. Außer den beiden Afrikanern kicken bei Bayer aber fast nur Jugendliche, die schon seit ihrem 14. Lebensjahr dabei sind. Für die berufliche Ausbildung im angeschlossenen Werk ist gesorgt. Die Bilanz des Firmenklubs ergibt ein durchwachsenes Bild: Heutige Bundesligaspieler wie Stefan Kohn (Köln), Bernd Dreher (Uerdingen), Heiko Herrlich (Gladbach) oder Stefan Schwarz (Arsenal London) wuchsen zwar in Leverkusen auf, schafften den großen Sprung aber alle erst in anderen Klubs. „Mit dieser Entwicklung kann ich auch nicht zufrieden sein“, sagt der seit 15 Jahren in der 04-Jugend-Abteilung tätige Trainer Michael Reschke, der Addo, Barnes oder Daniel Schumann einen ähnlichen Weg prognostiziert.

In Dortmund läßt man den Talenten noch etwas Zeit. Bis auf zwei Reservisten wurden alle Jung-Borussen mit einem Amateurvertrag (Laufzeit: drei Jahre) ausgestattet, um ihre Ausbildung im Oberliga-Team (Altersdurchschnitt: 21) fortzusetzen. Sehr zur Freude von Skibbe, der übrigens als „alter Schalker“ kein BVB-Fan ist: „Ich jubele im Westfalenstadion nur“, sagt der, „wenn einer unserer Youngster ein Tor schießt.“ Roland Leroi