Wortgymnastik statt Schwitzen

Sport ist ItalienerInnen lästig, Hauptsache, man ist Mitglied  ■ Aus Latina Werner Raith

Das Bild der Jane Fonda an der Wand hat schon bessere Tage gesehen. Unbeachtet flattert der obere rechte Rand in der leichten Zugluft der „Palestra“, wie der Raum in Anlehnung an griechische Ringerschulen genannt wird. Auch die Wadenwärmer, leicht angeschimmelt und von einigen Spinnweben umgeben, künden mehr von vergangener Bewegungsschulung. Drei Plastikhanteln liegen in der Ecke, sie werden normalerweile mit Wasser gefüllt, um das Gewicht zu erhöhen. Doch die Verschlüsse fehlen, und so verrotten die Schweißtreiber hinter dem kleinen Schreibtisch. Immerhin, ein Poster scheint ganz neu zu sein: ein junger Mann mit edlem Körper, der sich gerade einen Pullover überstreift. Doch das ist, wie sich herausstellt, der Freund von Turnlehrerin Stefania.

Es ist fast neun Uhr abends, aber noch läßt sich keine der angesagten Kursteilnehmerinnen blicken. 30 seien eingeschrieben, sagt Stefania, aber „da dies ein typischer Hausfrauenkurs ist, kommen die halt erst, wenn alle abgefüttert sind“. Außerdem seien die Reihen gerade „etwas gelichtet. Du weißt ja, wie das ist: Zuerst, im November, sind alle voller Enthusiasmus dabei, aber dann kommt mal da was dazwischen, mal dort, und dann kommen sie halt gar nicht mehr.“ Da muß was dran sein, jedenfalls zeigen sich bis gegen 22.00 Uhr gerade mal sechs oder sieben Frauen. Und von denen macht keine Anstalten, sich umzuziehen. Als Stefania dann gegen halb elf die Musik einschaltet und sich rhythmisch zu wiegen beginnt, kann sie gerade noch zwei Frauen zum Mitmachen bewegen. „Die sind am Abend halt sehr müde“, sagt sie nachsichtig, als die meisten ihrer Schülerinnen wieder abgerückt sind.

80.000 Lire kostet der Kurs monatlich, umgerechnet 65 Mark, für manche sicher eine Ausgabe. Doch anders als etwa in deutschen Landen, wo man nach Bezahlung wild entschlossen ist, die erworbenen Rechte auf Dienstleistungen auch voll in Anspruch zu nehmen, erschöpft sich in Italien vielerorts die Energie offenbar bereits mit der Einschreibung. Das gilt aber nicht nur für Hausfrauen, sondern auch für andere Körperschulungsanstalten: Fast zur Verzweiflung habe es ihn getrieben, berichtet Max, ein Bodybuilder, den es in die Provinz Latina verschlagen hat, „weil die nach der dritten Stunde einfach wegbrachen oder ihr Trainingszeug nicht mitbrachten“.

Durch Schminke und Kleidung kaschiert

So schimpft auch Giancarlo, der sich eingebildet hatte, Kurse für Leute mit den üblichen zivilisatorischen Rückgrat- und Bandscheibenleiden durchführen zu können: „Obwohl die eindeutig Besserung verspürten und mir am Anfang oft regelrecht um den Hals fielen, blieben sie immer öfter weg – und kamen dann wieder für eine Stunde, wenn sie vor Rückenschmerzen nicht mehr schlafen konnten.“ Die Bereitschaft, den eigenen Körper in Schuß zu halten, ist eher gering: „Solange man Körperuntüchtigkeit kaschieren kann“, sagt Stefania, „durch Kleidung, Schminke oder Vermeiden bestimmter Anlässe wie längere Fußmärsche oder gar gestrecktes Laufen, empfindet kaum jemand die Notwendigkeit körperlicher Ertüchtigung.“

Das sehen auch Sportmanager so. „Natürlich haben wir unzählige Sportschulen und Vereine, die die Ausbildung in einer bestimmten Disziplin durchführen“, sagt Bernardo Gaffa vom Nationalen Olympischen Komitee, „doch auch da ist von einer stringenten Einhaltung eines Programms oft nicht viel zu sehen.“ Max, der Bobybuilder, hat eine Erklärung dafür: „Viele Italienerinnen und Italiener neigen dazu, mehr über Dinge zu reden, als sie zu tun. Wenn die ein paar Stunden mitgemacht haben, glauben sie alle Methoden und Tricks zu kennen, fühlen sich schon selbst halb als Lehrer und sind dann auch kaum mehr zu bremsen, besonders wenn neue Schüler dazukommen – denen sie dann alles en detail erklären.“