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■ Magische Augenblicke: Annick Nozati in der Naunynstraße

Gewöhnungsbedürftig sei der Gesang der Französin Annick Nozati, wird gesagt. Einige Kritiker nennen ihn auch hysterisch. „Die, die das geschrieben haben, ertragen und akzeptieren die Gewalt des Lebens nicht. Sagt man von einem Vulkan, er sei hysterisch, sagt man von der Sonne, sie sei hysterisch? Sagt man vom Meer, es sei hysterisch? Das ist der Fluß des Lebens. Und Leute, die das nicht ertragen, sperren sich selbst ein. Sie setzen sich ihren Walkman auf und lassen sich mit Megahertz das Gehör zerstören.“ So reagiert die Sängerin, die es sich zur Maxime gemacht hat, keinen Stillstand in ihrem Gesang zu akzeptieren. Alles ist Erfahrung, auch das, was uns nur als Information bekannt ist – Jugoslawien, Tschetschenien, Algerien, der Sommer, die Traurigkeit, die Freude, das Leben. Bewußt oder unbewußt soll all das in ihre Improvisation einfließen. Klar, daß die Harmonie dabei gebrochen wird.

Eigentlich kommt Annick Nozati vom Theater, einem wortlosen Theater, das nur mit Körpersprache arbeitete. Anfang der siebziger Jahre begann sie, die Stimme mit einzubeziehen, nicht um etwas durch Sprache zu erklären, sondern, um ihre Ausdrucksfähigkeit zu erweitern. Seither reagiert sie auf die Vibration der Geräuschkulisse, die uns jeden Augenblick umgibt. „In der normalen Situation schützt man sich vor dieser Vibration, man unterdrückt sie. Man stelle sich nur mal vor, was beispielsweise die Autos sonst mit einem machen würden.“ Annick Nozatis Stimme auf der Bühne wirkt verführerisch und autoritär zugleich. Ihr Gesang kann wie ein Gebet klingen, eine Litanei, wie das Flüstern nie enden wollender Offenbarungen der Liebe, wie ein Hauch gesungener Anwesenheit jedes einzelnen Individuums im Publikum. Leicht kann er wirken oder unheimlich, asketisch oder reich.

Die Chancen auf eine maximale Umsetzung all dieser Erfahrungen bei ihrem heutigen Konzert in Berlin stehen gut, wird sie doch von Joälle Léandre am Kontrabaß begleitet. Die beiden Musikerinnen haben schon oft zusammengearbeitet, wissen, wie sie sich antreiben können, anstacheln zu immer größerer Ekstase. Die französische Kontrabassistin ist wie Annick Nozati eine Fanatikerin des magischen Augenblickes, der sich in einem Ton, einem Schrei verstecken kann, denn allein darin liegen bereits alle Facetten der zwischenmenschlichen Kommunikation. „Improvisation geht nur, wenn eine Beziehung zwischen allen beteiligten Personen herzustellen ist. Die Herzen müssen ineinanderhaken. Es sind Liebesgeschichten. Es sind immer Liebesbegegnungen mit großem Herzen.“ Waltraud Schwab

Heute, 21 Uhr, Ballhaus Naunynstraße (27), Kreuzberg

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