Vorschlag

■ Bindestrich-Konzept: Kanadische Kurzfilme im Arsenal

In Kanada werden derzeit reihenweise Filme von jungen Bindestrich-Regisseuren produziert: TV- und Kinofilmproduzenten scheinen sich geradezu um solche Filmemacher zu reißen, die aufgrund ihrer ethnischen Herkunft den langweilig-weißen Blick auf die Dinge mit Fremdheit aufpeppen. Auch wenn dieser Trend in der ganzen westlichen Welt momentan so angesagt ist, daß er zuweilen schon wieder in modischer Verkrampfung erstarrt, hat die gezielte Förderung der nicht-westlichen Regisseure in Kanada die Filmszene des Landes aufs Interessanteste belebt.

Einen Einblick gewährt heute abend das Arsenal-Kino mit einem Kurzfilmprogramm. Als Vorfilm zu Patricia Rozemas „I've Heard the Mermaids Singing“ sind eine kanadisch-chinesische, eine kanadisch-armenische und eine kanadisch-ukrainische Produktion zu sehen. Die drei Filme von Frauen mit durchaus feministischem Ansatz umkreisen das vieldiskutierte Knäuel, in dem die Fäden der Ethno- und Geschlechter-Debatten brenzlig und unentwirrbar zusammenlaufen.

Der „theoretischste“ Film dieses Programms ist „Sally's Beauty Spot“ von Helen Lee. Es geht um einen Leberfleck in Sallys Dekolleté, der sie als ein Makel stört, seit ihre Brüste zu wachsen begannen. Sally versucht die winzige Hautverfärbung solange zu verstecken, wegzuwaschen, wegzuschminken, bis sie ein Lover – über den Umweg seines männlichen Blicks – als Schönheitsfleck rehabilitiert. Lee unterbricht die Momente schwarz- weißer Badezimmerintimität mit bunten Szenen aus „Die Welt der Suzie Wong“. Durch die Verbindung zum filmischen Ur-Bild der asiatischen Frau als exotischen Prostituierten und Geliebten bekommt „Sally's Beauty Spot“ eine sehr kluge, historische Dimension. Garine Torossian, die Armenien nie selbst besucht hat, huldigt ihrer imaginären Zweit-Heimat in einem farbenfrohen, rasend schnellen Bilderbuch. Im Land der verwunschenen Kirchen und Landschaften lauert die Folklore-Gefahr zwar hinter jedem grauen Bart, doch Torossian entkommt dem Ethno- Kitsch mit Eleganz, indem sie alle Einstellungen im flotten Durcheinander, Übereinander und Nebeneinander zeigt. Dabei entsteht ein hübsches Chaos, das den Kindheitsgeschichten alter Menschen mit Erzähltalent ähnelt – eine Melange aus Melancholie und Heimweh.

Robin Curtis, die derzeit in Berlin lebt, nimmt ihr Exilantinnendasein als Brücke zur Geschichte ihrer ukrainischen Großmutter. „Nachlaß“ heißt ihr Film, eine neunminütige Reflexion über eine dieser extremen Auswandererbiographien: Emigration mit fünf, Heirat mit 14, neun Kinder in einem Land zur Welt gebracht, dessen Sprache „Babcha“ nie lernte. Schade, denkt man beim Sehen zuweilen, daß in Ermangelung anderer Bilder nur die vererbten Kämme und Perlen und ein paar ausgeblichene Weihnachtsfotos zu sehen sind. Doch zugleich macht die visuelle Kargheit den Charme dieses Films aus, weil Curtis ihr kulturelles Erbe nicht verklärt, sondern in der Profanität großmütterlicher Souvenirs und Haushaltsgegenstände aufzuspüren versucht. Dorothee Wenner

Heute, 20 Uhr, Arsenal, Welserstraße 25, Schöneberg