■ Der Weltmarkt rettet den Paragraphen 116 AFG
: Feinsinnige Hinterhältigkeit

Warum soll ein demokratisch gewählter Gesetzgeber nicht auch gewerkschaftsunfreundliche Gesetze beschließen können? Der 1986 novellierte Paragraph 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist verfassungsgemäß, dies hat das Bundesverfassungsgericht gestern entschieden. Es betonte den „weiten Handlungsspielraum“ des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Tarifautonomie, und das ist gut so.

Wer Karlsruhe kennt, weiß, daß nach solchen Aussagen immer die Grenzen des Zulässigen definiert werden. Hier lauten sie: Die Tarifautonomie darf durch die staatlichen Spielregeln nicht so einseitig ausgestaltet werden, daß kein strukturelles Gleichgewicht mehr gegeben ist.

Der neue Paragraph 116 AFG hat bisher solche Folgen nicht gebracht. Während der bayerische Metallarbeitgeberverband in diesem Frühjahr noch groß mit Aussperrung drohte, planten die einzelnen Unternehmen bereits den Rückzug. Denn Streik und Aussperrung bedeuten unter Weltmarktbedingungen, daß Kundschaft zur munter weiter produzierenden und in der Regel unsolidarischen Konkurrenz abwandert. Ob das Unternehmen die verlorenen Marktanteile später zurückerobern kann, das weiß niemand. Da zahlt es doch lieber etwas mehr Lohn und spart sich das Risiko. Die ArbeitgeberInnen diskutieren immer noch, wie sie solche Peinlichkeiten künftig verhindern können.

Man hat es sich angewöhnt, davor zu warnen, daß die Internationalisierung von Wirtschaftskreisläufen die Gewerkschaften schwächt. Denn Produktion kann so leicht an auswärtige Standorte verlagert werden. Streiks werden damit unterlaufen. Daß Arbeitgeberverbände nun ganz ähnliche Probleme haben, erfüllt da durchaus mit gewisser Schadenfreude, entzieht aber auch der IG Metall die Argumentationsgrundlage.

Neun Jahre ließ das Verfassungsgericht die Gewerkschaftsklage einfach liegen, um ihre düsteren Prognosen durch die Wirklichkeit widerlegen zu lassen. Dies könnte man als feinsinnige Hinterhältigkeit werten. Andererseits hat das Gericht den Paragraphen 116 AFG letztlich doch zur Disposition gestellt. Denn immer dann, wenn er wirklich deutliche Wirkungen zu Lasten der Gewerkschaften zeitigen könnte, wird eine Klärung durch Arbeits- und Sozialgerichte oder gar gleich durch Karlsruhe empfohlen. Wie weit der Respekt vor dem Gesetzgeber dann tragen wird, fragt heute niemand. Dazu sind alle Beteiligten zu zufrieden mit dem gestrigen Urteil. Christian Rath