■ Wird Helmut Kohl am Ende doch noch mal Reichskanzler?
: Kleine Amerikaner

Sehr schön: Erst höhlen sie den Tiergarten aus,

betonieren den halben Spreebogen ein, und jetzt fangen sie auch noch an, Berliner Gebäude freiweg

umzubenennen. Demnächst müssen vielleicht auch die Rentner aus'm Stadtbild. Egal was, wo Bundestag drin ist, soll nicht mehr Reichstag draufstehen, sondern „Bundestag“ (Thierse), wenn nicht gar „Deutscher Bundestag“ (Süssmuth). Beziehungsweise „Helmut Kohl“. An der Spitze besagter Widertäufer marschiert nämlich ganz selbstverständlich der gleichnamige Vollbluthistoriker, der die mit dem bluttriefenden alten Namen untrennbar verbundenen Risiken so präzise zu erahnen weiß wie kein Kanzler nach Helmut Schmidt.

Könnte es nicht sein, wenn Kohl mal eben nach vollbrachter Bundestags(!)sitzung die Reichstags(!)rampe heruntergravitiert – dieses Wort bezeichnet die Kohl gegebene Fähigkeit, sich besonders würdevoll der Erdanziehung hinzugeben –, daß dann zum Jubeln angetretene kleine Amerikaner (ja, ja, diese Volksbildung da drüben) ihn für den allerletzten Reichskanzler halten und unversehens zum Gruße die Arme hochreißen, he? Weil: Es steht ja „Reichstag“ oben dran. Und immerhin hat Kohl Autobahnen gebaut. Oder wird der Kanzler, verleitet durch das morbide postweimarsche Ambiente – nomen est omen – dereinst in seiner x-ten Amtszeit, einen saftigen Ermächtigungserlaß („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) durchpeitschen, der ihn befugt, in Zukunft ganz allein zu bestimmen, wie Kanzlerämter und Holocaust-Gedenkstätten auszusehen haben? Wird Helmut Kohl am Ende doch noch mal Reichskanzler? Das wäre nun wirklich fein. Dann könnte der Serbe sich aber so was von frischmachen!

Helmut Kohl sieht all dies kommen und wehrt sich dagegen. Das ehrt den Demokraten in ihm. Und er ist in seinem Kampf gegen das dräuende Übel nicht allein. Da ist die kleine tapfere Frau Süssmuth, da ist ein gewisser Jochim Stoltenberg, der ihm in der Berliner Morgenpost den Rücken freischießt: „Vor allem darf der Umzug des Bundestages keinen Bruch in der deutschen Nachkriegsparlamentsgeschichte auslösen. Kontinuität ist notwendig. Also Deutscher Bundestag, nicht länger Reichstag.“ Mein Gott, was und wieviel davon muß man eigentlich einnehmen, damit einem so was einfällt?

Von Herrn Oberlehrer Thierse wiederum ist überliefert, es sei „unsinnig“, den Reichstag fürderhin „Reichstag“ zu nennen, „es wäre gut, wenn die Bürger sich so schnell wie möglich angewöhnen würden, vom Deutschen Bundestag zu sprechen“. Mensch, Thierse, Zumsel, was glauben Sie eigentlich, was ich hier die ganze Zeit mache?! André Mielke

Redakteur des Satiremagazins Eulenspiegel.