Streik schlägt Arafat auf den Magen

Während der PLO-Chef über ein neues Abkommen mit den Israelis verhandelt, verweigern 6.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen die Nahrungsaufnahme  ■ Aus Jerusalem Karim El-Gawhary

„Sechs Kilo habe ich bereits abgenommen“, sagt Suha Barghuti, als sie von der Waage im Garten des Büros des Roten Kreuzes in Jerusalem steigt. Seit zwei Wochen ist sie nun mit 25 anderen PalästinenserInnen in Jerusalem im Hungerstreik, aus Solidarität mit den 6.000 politischen palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen. Die Häftlinge verweigern seit dem 18. Juni die Nahrungsaufnahme, um so ihre Freilassung zu erreichen.

Die Forderungen der Gefangenen sind einfach: Sie verlangen einen Zeitplan für die Freilassung aller politischen palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen. Für den Fall, daß diese Forderung nicht erfüllt wird, rufen sie die palästinensische Führung auf, keine weitere Übereinkunft mit den Israelis über die zweite Phase des Osloer Autonomieabkommens zu unterzeichnen. Darin sollen die Umgruppierung der israelischen Truppen in der Westbank und die darauffolgenden palästinensischen Wahlen festgelegt werden. Israels Polizeiminister Moshe Schahal gab sich zunächst hart: Die israelische Regierung werde sich nicht „Prozeduren wie Hungerstreiks durch palästinensische Häftlinge beugen“, erklärte er zu Beginn des Streiks vor der Knesset.

Für den Chef der palästinensischen Autonomiebehörden, PLO- Chef Jassir Arafat, der gerade in den letzten Zügen der Verhandlungen um die zweite Autonomiephase steht, kam der Streik äußerst ungelegen. Lauwarm solidarisierte er sich mit den Streikenden, um anschließend eine Auslandsreise anzutreten. Bisher hatte die PLO- Führung die Frage der Häftlinge nur am Rande behandelt.

Zwar setzten die Israelis, wie im Mai vergangenen Jahres in Kairo vereinbart, 5.000 Häftlinge auf freien Fuß. Aber seither wurden nach israelischen Angaben erneut 2.600 Palästinenser inhaftiert. Eine peinliche Zahl für den Osloer Friedensprozeß und alle daran Beteiligten.

Die meisten der neuen Häftlinge gehören der islamistischen Hamas- oder Gihad-Gruppierung an. Aber es sind Mitglieder von Arafats eigener Fatah-Bewegung, die den Streik anführen. Die Islamisten in den Gefängnissen hatten sich eher zögernd angeschlossen.

Alle regionalen Fatah-Räte in der Westbank haben inzwischen angekündigt, die palästinensischen Wahlen zu boykottieren, wenn die Frage der Häftlinge bis dahin nicht gelöst wird. Es sind junge Fatah- Kader in den besetzten Teilen der Westbank, die in den letzten Tagen aus Solidarität mit den Streikenden einen neuen Hauch der Intifada verbreiten, des Aufstands der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten. Begonnen hatten die Demonstrationen vor zehn Tagen in Ostjerusalem, und auch in den Westbankstädten Nablus und Ramallah machte sich der Unmut Luft. Die israelische Armee und Polizei antworteten mit äußerster Brutalität. In Nablus feuerten sie mit scharfer Munition in die Menge. Drei Palästinenser starben, 55 weitere wurden verletzt.

Mittlerweile haben sich alle palästinensischen Fraktionen mit den Streikenden solidarisiert. Prominente Palästinenser wie die Nummer eins der Fatah in der Westbank, Faisal Husseini, haben sich dem Hungerstreik angeschlossen. Unterdessen hat ein eigens für diese Frage gebildetes israelisches Ministerialkomitee die Freilassung von Tausend Inhaftierten unmittelbar nach der Unterzeichnung eines neuen israelisch-palästinensischen Abkommens angekündigt. Weitere Häftlinge sollen zu den palästinensischen Wahlen freigelassen werden. Der israelische Außenminister Shimon Peres hatte bereits vor zwei Wochen angekündigt, über die Freilassung bestimmter Häftlinge nachzudenken. In Betracht kämen Palästinenser, die „kein jüdisches Blut an den Fingern haben.“

Es ist aber gerade diese Klassifizierung, die Suha Barghuti ablehnt. „Das ist ein altes Spiel, die Häftlinge einzuteilen“, erklärt sie. Mal spräche die israelische Regierung von „Häftlingen mit und ohne Blut an den Händen“, mal von jenen, die für oder gegen das Abkommen von Oslo seien. „Die Streikenden wollen derartige Klassifizierungen durchbrechen“, meint Suha Barghuti. Man wolle sich durchaus flexibel zeigen, aber mit eigenen Prioritäten. So sollten inhaftierte Minderjährige und Frauen bevorzugt behandelt werden und jene, die seit Monaten in Administrativhaft sitzen. Suha Barghutis Ehemann, Ahmad Suleiman Qatamesch, sitzt bereits seit zweieinhalb Jahren ohne Anklage und Prozeß in einem israelischen Gefängnis.