Krankhafte Sensationsgier

■ Berliner TV-Team bricht Grabfrieden über der gesunkenen Fähre „Estonia“

Stockholm (taz) – Ein Fernsehteam der privaten deutschen TV- Produktionsfirma „Topstory Productions“ aus Berlin ist in den letzten Tagen zweimal dabei ertappt worden, wie es versuchte, den von den Behörden über das Wrack der gesunkenen Fähre „Estonia“ verhängten „Grabfrieden“ zu brechen. Wie am Sonntag in Stockholm bekannt wurde, stoppte der schwedische Eisbrecher „Ale“ am Donnerstag einen Versuch des Teams, von dem unter deutscher Flagge fahrenden Boot „Taucher Wolf 3“ aus eine ferngesteuerte Unterwasserkamera an der Untergangsstelle tauchen zu lassen. Obwohl der zur Bewachung des Wracks eingesetzte Eisbrecher per Funk zweimal den Schlepper auf das illegale Verhalten hinwies, versuchte das Team zunächst weiter, Vorbereitungen für Unterwasseraufnahmen zu machen.

Schweden, Finnland und Estland haben jeweils Gesetze erlassen, die die Untergangsstelle der im vergangenen Herbst mit über 1.000 Menschen gesunkenen Fähre zur „Grabstelle“ erklärt haben und eine „Souvenirjagd“ verhindern sollen. Danach ist bereits der Versuch, Unterwasseraufnahmen zu machen oder zu tauchen, strafbar. Schwedens Verkehrsministerin Ines Uusmann bezeichnete den Versuch des deutschen TV-Teams als „mehr als geschmacklos“ und stellte die Frage, was außer Sensationsgier zu solchem Verhalten treibe. Die Lücke in der „Grabfriedenregelung“: Das Wrack liegt in internationalen Gewässern, und die Bewachungsschiffe Schwedens und Finnlands haben dort kein Recht, Schiffe unter fremder Flagge zu entern. „Wir können sie auch nicht einfach über den Haufen fahren“, resignierte „Ale“-Kapitän Johnny Kalered.

Schwedens Regierung teilte nach Bekanntwerden der Vorfälle mit, sie sei bereits am Freitag bei der deutschen Botschaft vorstellig geworden. Ein Sprecher von „Estonia“-Angehörigen verurteilte das Verhalten des deutschen TV-Teams als „krankhafte Sensationsgier“. Reinhard Wolff