„Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken“

Wählen, bis das Ergebnis stimmt: Wegen 33 Gegenstimmen trat Münchens CSU-Chef Peter Gauweiler nach seiner Wiederwahl zurück – und wenige Minuten später wieder an  ■ Aus München Felix Berth

München (taz) – Hat die Münchner CSU jetzt einen Vorsitzenden oder hat sie keinen? Nach einem turbulenten Parteitag fällt die Beantwortung dieser Frage nicht gerade leicht, und selbst in der CSU gehen die Ansichten darüber auseinander. Die einen meinen, Peter Gauweiler sei doch am Montag abend wiedergewählt worden, die anderen halten dagegen, er sei ja am gleichen Abend zurückgetreten.

Daß beide Seiten irgendwie recht haben, hängt mit dem durchaus wendigen Verhalten Gauweilers an jenem Abend zusammen. Der Münchner CSU-Chef stand am Montag turnusgemäß zur Wiederwahl an, ohne Gegenkandidaten, wie es sich für die CSU gehört. 127 Delegierte hatten sich im Münchner Pschorr-Keller versammelt, und nach einer überraschend offenen Debatte, von der noch die Rede sein wird, stimmten sie in geheimer Wahl über ihren Chef ab. Neben fünf Enthaltungen kassierte Gauweiler 33 Ablehnungen und nur 89 Jastimmen.

Gauweiler nahm das schlechte Ergebnis äußerlich gefaßt auf: „Ich nehme die Wahl an“, sagte er, winkte den Delegierten mit einem kurzen Lächeln zu und setzte sich still an seinen Platz in der ersten Reihe. Ein paar Minuten später erklärte er den Journalisten draußen vor dem Saal, er sei eigentlich „ganz zufrieden“. Ein besseres Resultat habe er nach den Skandalen der letzten Wochen nicht erwartet. Wieder ein paar Minuten später wurden dann die Stellvertreter des Münchner CSU-Vorsitzenden gewählt, die alle deutlich mehr Stimmen als Gauweiler erhielten. Und wieder ein paar Minuten später sagte Gauweiler, daß er das „nicht verdient“ habe. In einer Mischung aus Jähzorn und Erpressung „verzichtete“ Gauweiler auf den Posten des Münchner Parteichefs.

Unruhe im Saal, Bestürzung bei den meisten Delegierten. Sämtliche Bewunderer redeten auf Peter Gauweiler ein, den Rücktritt bitte wieder zurückzunehmen. Schließlich fand wohl der Gauweiler-Vertraute Johannes Singhammer die Lösung: Man könnte ja die Wahl einfach wiederholen, und wenn ein besseres Ergebnis herauskomme, sei der Chef sicherlich besänftigt.

Ein paar vorsichtige Parteimitglieder warnten zwar, man könne eine demokratische Wahl nicht so lange wiederholen, bis das Ergebnis dem Gewählten paßt. Doch die Mehrheit wollte noch mal abstimmen, um dem Vorsitzenden zu huldigen. Also wurde nochmals geheim gewählt. Das Ergebnis: Jetzt waren es 98 Jastimmen, nur vier stimmten mit Nein; der Rest hatte sich vornehm enthalten. Diese Zahlen gefielen dem CSU-Vorsitzenden schon besser – zum Glück, muß man anmerken, denn sonst wären die Delegierten vielleicht immer noch im Saal versammelt und beim dreiundzwanzigsten Wahlgang angelangt.

Schon kurz nach der zweiten Wahl begann das Rätselraten über deren Gültigkeit, das auch gestern noch anhielt. So erklärte der zum liberalen Flügel zählende Landtagsabgeordnete Paul Wilhelm, Gauweiler sei zurückgetreten: „Man kann doch eine Wahl nicht beliebig oft wiederholen, bis das Ergebnis stimmt.“ Für eine zweite Wahl müßten, so Wilhelm, zumindest die in der Satzung vorgeschriebenen Fristen eingehalten werden. Auch die Landesleitung der CSU ging gestern von einem Rücktritt aus, während Gauweilers Sprecher zu erklären versuchte, daß der Parteivorsitzende in Wirklichkeit gar nicht zurückgetreten sei.

Daß diese Debatte in den nächsten Tagen zum finalen Rücktritt Gauweilers führen könnte, ist gut möglich. Denn schon vor der merkwürdigen Wahlprozedur hatten mehrere Delegierte überraschend deutliche Worte für die Lage der skandalgeplagten Münchner CSU gefunden. Kurt Faltlhauser sprach von der „Zumutung“ der jüngsten Affären, und Winfried Zehetmeier plädierte für einen Neuanfang: „Wir versuchen hier auf dem Parteitag, kritisch nachzudenken. Das haben wir bisher nicht getan“. Auch der schon erwähnte Paul Wilhelm forderte einen Lernprozeß: „Wir müssen alle wieder lernen, daß sich ein Politiker weniger erlauben kann als ein Durchschnittsbürger.“

Paul Wilhelm hat auch bereits angekündigt, die Wahl Gauweilers auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen zu lassen. Setzt er dies um, wäre das die Kampfansage ans Gauweiler- Lager. Wie hatte der Münchner SPD-Fraktionschef Dietmar Keese gesagt: „Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken.“ Mag sein, daß der Fisch in ein paar Tagen einen anderen Kopf hat. Und dessen Geruch wird dann zu überprüfen sein.