■ Normalzeit
: Reichstags-Sensationen

Während in Frankfurt an der Oder häßliche schnauzbärtige Bullen auf völlig Fremde losgelassen werden, hat Berlin dieser Christo-Tage ein ordnungspolitisches Zeichen gesetzt: „Wir müssen uns den Touristen von der besten Seite zeigen!“ – „Da müssen jetzt ausgesucht höfliche Beamte auf die Straße!“ – „Die Polizisten vor Ort müssen neben dem entsprechenden Know-how und einer gewissen Auskunftsfähigkeit auch durch angenehmes Äußeres und gefälliges hauptstädtisches Auftreten gefallen!“ – So wurde der Reichstags-Ansturm in der Polizeidirektion schon mal diskursmäßig vorbereitet. Und dann ging in den Revieren aber die Suche los: Wen stellen wir für das Topereignis ab? Den Vogel schossen dann die Brandenburger-Tor-Brigade und die Reiterstaffel ab: Dort stellte man zwei scharfe Blondinen, wenn auch künstlich eingefärbt, vor die Säulen – das war schon mal ein Hit für die Reisegruppen aus Wuppertal und Wiesbaden, die sich extra dämliche Fragen ausdachten („Wie kommt man von hier nach Unter den Linden?“), nur um ein Lächeln von den zwei Weddinger Sue Ellens mit schrägem grünem Käppi geschenkt zu bekommen.

Später gesellten sich noch zwei augenscheinlich outfitmäßig von Miami Vice inspirierte Jungbeamte aus Schöneberg zu den beiden Kolleginnen. Und noch später spielte sich zwischen den vieren irgend etwas Nicht-Servicemäßiges ab, jedenfalls flogen die Scherze nur so hin und her, und alle waren dermaßen fröhlich ... Immer wieder wurden sie geknipst. Mit diesem Brandenburger Eigentor hätten eigentlich auch die verbittertsten grünen Durchfahrtsgegner rundum zufrieden sein können.

Aber es kam noch schöner: Plötzlich tauchte die erste Reiterpatrouille auf, umrundete den Reichstag, Straße des 17. Juni runter, die Entlastungsstraße hoch. Sie bestand aus einem gemütlichen, schon etwas dicklichen Bullen und einer jungen Rothaarigen mit Pferdeschwanz. Die Frau saß auch noch passenderweise auf einem Fuchswallach mit viel Hals, wie man in Fachkreisen zu sagen pflegt. Und sie saß prächtig. Da gab es bei den durchweg hippophilen Berlin- Touristen kein Halten mehr: Hunderte fotografierten und filmten sie, riefen ihr irgend etwas Nettes nach, wollten ihr Christo- Kataloge schenken, Blumen gar oder sie zu einem Erfrischungsgetränk einladen. Sie parierte alle Aufforderungen lachend und mit lustig gemeinten Bemerkungen, derweil sie ihr Kreuz noch eleganter durchdrückte. In Höhe Sowjetisches Ehrenmal kam dadurch ihr Hintern auf dem Sattel schon derart zur Geltung, daß es dem dortigen Wachbeamten doch glatt einen hochachtungsvollen Pfiff entlockte. Daraufhin setzte geradezu ein Blitzlichtgewitter ein. Die Rothaarige lachte entzückt. Eine Gruppe aus Delmenhorst verglich sie prompt mit der unlängst im Playboy nackt abgelichteten New Yorker Bullin, wobei die Hiesige durchaus nicht schlecht abschnitt.

Aber dann kam die Kreuzung Entlastungsstraße, die an diesem ersten Christo-Wochenende für den Verkehr gesperrt war. Die Rothaarige ritt rechts neben ihrem Kollegen. Und hier versagte sie aufs dumpfeste, berlinerischste: Kurz vor dem Rechtsabbiegen hielt sie nämlich wie ein folgsamer Radfahrer im Verkehrsunterricht einen Arm nach rechts raus und bewegte ihn sogar aufs unattraktivste rauf und runter. Im Nu war ihre ganze Hoch-zu-Roß- Aura perdu. Entsetzt ließen all die Husumer, Münchner und Dortmunder, die an der Ecke standen, ihre Kameras sinken und versuchten gar, ihre Blicke auf etwas anderes zu konzentrieren. Die Rothaarige merkte das natürlich sofort, aber es war zu spät. Selbst ihr Fuchswallach, der sich um genausoviel Stil wie sie bemüht hatte, kam kurz aus dem Tritt und sah minutenlang nur noch wie ein blödes Berliner Polizeipferd aus, bis er sich, in Höhe John-Foster-Dulles-Allee, wieder gefangen hatte und auch seine rothaarige Reiterin ihre rechte Hand wieder am Sattelknauf hielt. Da ging dann auch die Knipserei sofort wieder los, und alle, an denen sie vorbeiritt, hatten wieder den Eindruck, etwas wirklich Beeindruckendes vor sich zu haben. Auf den zwei Freßmeilen vor und hinter dem Brandenburger Tor wurde hernach jedenfalls mehr über diese rothaarige Polizistin geredet als über die Reichstagsverhüllung, die selbstverständlich auch ganz prima war, darüber war man sich sowieso einig. Helmut Höge

wird fortgesetzt