Zum Reichstag nur noch mit Petersilie in den Ohren

■ betr.: „Wildwesten am Himmel über Christo“, taz vom 27. 6. 95; „Grün-schwarze Ehe in Charlot tenburg“, taz vom 26. 6. 95

Die „Blockade“ des Reichstages durch den privaten Luftverkehr zerstört nachhaltig die Poesie von Christos Kunst und nervt alle anderen seit einer Woche. Zum Reichstag nur noch mit Petersilie in den Ohren! Der Luftraum ist frei, es ist aber Luftraum über einer Millionenstadt, und nicht frei für Lärm und Beeinträchtigung Hunderttausender anderer. Gerade in der dichten Stadt gilt es, Rücksichtnahme durchzusetzen, die besonders auch die Lust am privaten Fliegen betrifft. Hier gilt es, schnellstens aktuelle Gesetze zu schaffen, die berücksichtigen, daß Luftraum nicht gleich Luftraum ist und daß niedrigfliegende Knatterer nicht das Recht haben, wochen-

lang eine ganze Stadt zu überziehen. Kurzfristig sollte das Umfliegen des Reichstags zeitlich beschränkt, langfristig der gesamte Luftraum über der Stadt nur für notwendige Flüge freigegeben werden. Baustadtrat Dyckhoff mit dem Geist der alten AL zu verbinden ist gewagt und zeugt von wenig Einblick in die tatsächlichen Abläufe. Der Baustadtrat als Person kann für politische Fakten nicht ausschließlich allein verantwortlich gemacht werden. Er ist nur so gut wie sein Amt, die Ausschüsse und die Mehrheiten (BVV). Das wiederum entlastet sein Rückgrat nicht, denn davon hat er eindeutig zuwenig. Der Charlottenburger Laisser-faire-Stil ist nach wie vor nicht imstande, die Sünden der Siebziger zu korrigieren, geschweige denn den Erfordernissen der Zeit gerecht zu werden.

Geldnot und Personalknappheit halten als Ausrede für offensichtliche Fehlleistungen und Schlappheiten des trägen Apparates her. Ganz nebenbei wird asphaltiert oder weiße Farbe verpin-

selt. Verhärtete Altberliner Ansichten und Kleingeistigkeit verstopfen bekanntermaßen die meisten Köpfe unserer Administration. Unterordnung unter das Bestehende, Unausweichliches bestimmt so manches Abstimmungsergebnis. Schöpferischer Wille ist keinesfalls auszumachen. Anwohner, die seit Jahren in mehreren Initiativen Teile der Charlottenburger Kiezstruktur zu retten versuchen und Vorschläge für Verbesserungen der städtischen Lebensqualität erarbeiten, werden dahin gehend desillusioniert, daß die Stadt nicht in erster Linie für die Bürger da ist, sondern die Bürger für die (Haupt-)Stadt. Und die ist zur Einnahmequelle verkommen und besteht überwiegend aus Verkehrsfläche der autogerechten Stadt. Bündnis 90/Die Grünen haben dieses Gefälle erkannt und zusammen mit uns an der bisherigen Erfolglosigkeit der Bemühungen teilgenommen, ohne ihren Willen zur zukunftsorientierten Veränderung zu verlieren. Ich denke, daß vordergründiges politisches Kal-

kül gegen den gemeinsamen Baustadtrat kurze Erfolge bringen kann, langfristig dürfte der Ärger allerdings überwiegen. Wünschenswert ist Schwarz-Grün auf keinen Fall, eher pfui Teufel! Da haben Sie schon recht. Wolfgang Beck