Metasexuell

■ Bayerns Jugendschützer wollen Ralf Königs Comicbuch "Bullenklöten" als jugendgefährdend indizieren lassen

Beim Bayerischen Landesjugendamt dachte man drei Jahre nach, blätterte und guckte, schaute und delektierte sich. Dann, am 13.Januar dieses Jahres, hatte man sein Urteil endlich schriftlich gefaßt und einen Antrag auf Indizierung für das 1992 erschienene Comicbuch „Dicke Dödel 1 – Bullenklöten“ bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn gestellt. Seit gestern nachmittag wird dort darüber beraten, ob das Buch in Comicläden künftig nicht mehr frei verkauft werden darf.

Die Befindlichkeiten, die vor allem in katholischen Kreisen in Sachen Sexualität und Humor so regelmäßig ausbrechen wie andernorts Ebbe und Flut, trafen diesmal einen Prominenten, den selbst Heterosexuelle spätestens seit dem letztjährigen Kinosommerhit „Der bewegte Mann“ ins Herz geschlossen haben: Ralf König, Erfinder und Vater von Axel, Doro, Waltraut („Walter“).

Der schwule Karikaturist, dessen Knollenmänner, humoristisch gesehen, zum Besten, weil Unverspanntesten in der Republik gehören, habe etwas skizziert, was „geeignet ist, Kinder und Jugendliche zu desorientierten“, schreiben die bajuwarischen Tugendwächter. Schon die Titelseite des Bandes zeige „ein in den Proportionen stark verfremdetes Männchen mit erigiertem Penis“.

Immerhin räumen die Antragsteller ein, daß die Geschichte an sich „von all den kleinen Nöten, sexuellen Wirrungen und Beziehungskisten des homosexuellen Kleinbürgers“ erzählen, wobei offenbleibt, was an Königs Helden kleinbürgerlich sein soll. Sie sind mitten aus dem Leben gegriffen – wären sie es nicht, könnte der Erfolg der Königschen Ästhetik kaum erklärt werden.

Allerdings ist dieses Werk, im Hamburger Buchladen „Männerschwarm“ verlegt, drastischer gezeichnet als Königs bei Rowohlt erschienene Bücher. So sind Genitalien, sogar in Sekunden höchster Erregung, zu sehen. Das begreifen die Landesjugendamtmenschen aus München dann als Pornographie. Verräterisch wird ihr Begehr aber, wenn sie schreiben, daß „die Präsentation homosexueller Handlungen unter Minderjährigen [...] im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes von den Jüngeren der Gesellschaft ferngehalten werden“ müsse.

Die Antragsteller stört offenbar, daß Homosexualität gar nicht erst problematisiert und als sonderlich begriffen wird. Sie haben dies zurecht erkannt: Für König und seine Leserschaft ist Homosexualität nur eine Tragik oder ein Vergnügen unter vielen, wie auch die Heterosexualität. Das läßt die Bayern um ihre Kundschaft fürchten: Indiziert werden soll das Buch, „um eine massive Desorientierung von Kindern und Jugendllichen zu vermeiden“.

Wie gesagt: Es geht nicht um Illustrierte wie Praline, Wochenend oder um Pornohefte, in denen Sexualität als Leistungsschau glänzender Körper dargestellt wird. Königs Trick sei gerade, so der Bremer Soziologe Rüdiger Lautmann (Autor von „Die Lust am Kind. Portrait des Pädophilen“), Bilder und Texte vorzulegen, die „zunächst einmal objektiv schamverletztend, also obszön“ seien. Doch dies sei „gerade der Witz: Man schmunzelt, aber auf einer metasexuellen Ebene.“

Wer einmal einen „Bullenklöten“-Band durchgelesen hat, wird schwerlich auf die Idee kommen, ihn als Masturbationsvorlage zu benutzen.

Aber die bayerischen Tugendwächter stört ja auch nicht, daß überhaupt masturbiert wird, sondern lediglich, daß Jugendliche nach ihrem Verständnis desorientiert würden. König weiß darauf (im Spiegel-Interview) nur schlicht zu antworten: „Nun frage ich mich, warum wir überhaupt den Paragraphen 175 (Altersgrenze: 16 Jahre) abgeschafft haben, wenn es immer noch nicht selbstverständlich ist, daß Jugendliche schwul sind und das auch ausleben wollen“. Und Rüdiger Lautmann, selbst in seinen Schriften nicht gerade ein Freund plastischer Formulierungen, findet, daß König „erkennbar für einen anständigen Umgang der Menschen auch in der Sexualität“ fechte.

Vielleicht liegt hier für die Antragsteller auch das eigentliche Problem: In Königs Figuren erkennen wir uns selbst – all die kleinen Unpäßlichkeiten des Alltags, die uns nur allzu bekannt sind. Königs Comics sind in diesem Sinne Friedensangebote, die Lust aus dem Dunkelfeld des Pornographischen und Sexualität aus der Schlüpfrigkeit herauszuheben.

Die Anwälte des „Männerschwarm“ beharren darauf, daß es sich bei „Bullenklöten“ um Kunst handele. Sie verweisen dabei auf etliche Entscheide des Bundesverfassungsgerichts. Vielleicht wird ja auch diesmal bis zur höchsten Ebene weitergefochten. Auch Keith Haring wurde einst in den USA von christlichen Fundamentalisten für pornographisch gehalten. Jan Feddersen