Alte Tomaten, die jung aussehen

■ betr.: „Gentomate ist uner wünscht“, taz vom 27. 6. 95

Bei der Flavr-Savr-Tomate ist ein Gen für ein Enzym stillgelegt, das in dem Artikel von Wolfgang Löhr „Reifungsenzym“ genannt wird. Mit dieser Bezeichnung wird genau der Eindruck erweckt, den die Betreiber gern hätten, nämlich daß es sich bei der gentechnischen Veränderung um die Verlangsamung des ganz normalen Reifungsprozesses handele, so daß wir auch nach längerer Lagerung noch reife, vollwertige Früchte bekommen. Das aber stimmt nicht. Der Stoff, dessen Abbau gentechnisch verhindert wird, die Polygalakturonsäure, hat eine gallertige Konsistenz und hält die Tomaten auf quasi mechanische Weise prall. Mit den übrigen Reifungs- und Alterungsprozessen hat das nichts zu tun. Der Abbau der anderen Inhaltsstoffe läuft selbstverständlich unverändert weiter. Schließlich besteht die Tomate aus lebenden Zellen, die ihren Energiestoffwechsel unter Abbau von Vorratsstoffen aufrecht erhalten müssen. Was wir dann bekommen, sind alte Tomaten, die jung aussehen.

Die Herstellerfirma Calgene sagt, die neuen Tomaten seien wohlschmeckender, weil sie wegen ihrer Haltbarkeit reif geerntet werden könnten. Können, aber nicht müssen! Für die Anfangszeit wird das vermutlich eingehalten werden, um das neue Produkt gut einzuführen. Auf lange Sicht aber ist anzunehmen, daß der Zugewinn von zeitlichem Dispositionsspielraum mehr zählt, denn über Konkurrenzvorteile entscheidet nicht nur der Kunde, sondern auch der (Zwischen-)Händler. Und die Händler werden die neue Tomate bevorzugen, weil die Verluste durch Verderben geringer sind. Unterm Strich steht in jedem Fall – reif oder unreif geerntet – ein Qualitätsverlust für den Verbraucher. Linde Peters, München