Datenverkehr mit Häckern und Häcksen

Künstler hacken die Gesellschaft: In seinem Datenbunker überwindet ein Bielefelder Graswurzelverein die Kontaktsperre zwischen Serben und Bosniern – leichter als die zwischen Rita Süssmuth und der neuen Technik  ■ Von Jochen Wegner

Der Nabel der Welt ist kaum größer als ein Schäferhundzwinger. Beheizt wird er von den Gebläsen gleichmäßig atmender Rechner. Ein Dutzend von ihnen steht, büchergleich aufgereiht, im Sperrholzregal an der Wand. Ein Dutzend Modems mit psychedelisch flimmernden Lämpchen leisten Gesellschaft. Immer wieder klingelt ein Gerät, hebt mit klickendem Relais ab, läßt kaum hörbar Daten ins Telefonnetz rauschen, um dann klickend wieder zu verstummen. Zwei Eimer mit Chio- Chips, so groß wie Omo-Tonnen, haben sich provisorisch dazugesellt.

Ab und zu klingelt auch das Telefon mit der Aufschrift „Hörer nicht abheben!“ Es steht auf dem Tisch neben Christopher, der an einem von drei Bildschirmen sitzt und Datenklumpen an seiner Mattscheibe vorbeifallen läßt. Vor einem anderen Telefon hängt ein Blatt: „Hörer abnehmen und melden: Guten Tag, Foe BuD e. V. in Bielefeld. Den Anrufenden mit Namen ansprechen. Immer freundlich bleiben.“

Das Telefon, dessen Hörer abgehoben werden soll, klingelt. „Guten Tag, Foe BuD e. V. in Bielefeld, Christopher Kreuzig“, singt Christopher in den Hörer. Er ist einer von drei Systembetreuern der Bielefelder „//BIONIC“- Mailbox. Betrieben wird sie vom „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.“, kurz „Foe BuD“. In ihm, heißt es, reichern sich seit Jahren diejenigen an, die wissen, wozu Modems und hohe Telefonrechnungen taugen. Zusammen mit den legendären Computerfreaks aus Amsterdam werden sie in den internationalen Fachblättern als führend in der europäischen Hackerszene eingestuft.

Die Vereinigung mit dem verknitterten Namen gibt selbst ihren Mitgliedern Rätsel auf: „Es war eine reine Gefühlsentscheidung, hier mitzuarbeiten“, erinnert sich Mathematiker Christopher. Für seinen Dienst pendelt er regelmäßig eine Bahnstunde weit ein. „Was die Arbeit aber genau ist, das ist auf Anhieb schwer zu beschreiben“, fügt er bedächtig an. Auch sein Kollege Michael zeigt Treue: „Ich habe in Aachen studiert und gemerkt, das macht keinen Sinn dort. Hier ist einfach der Nabel der Welt.“ Jetzt studiert er Informatik in Bielefeld, am liebsten beim sinnstiftenden, schillernden Foe BuD.

Zu den Computern kamen die Bielefelder über die Kunst: Rena Tangens und Padeluun stellten Mitte der 80er schon mal eine Hysterikerin aus, einen Einbrecher – oder eben den Hamburger „Chaos Computer Club“, den „CCC“. Der Hackerhaufen um Computer-Charismatiker Herwart „Wau“ Holland-Moritz strebte mit spektakulären Aktionen gerade größerer Popularität entgegen. Drei Tage und Nächte lang hackten die Chaoten, zum Kunstwerk erhoben, öffentlich in Bielefeld. „Die Leute verursachten bei mir damals ein Kribbeln, das ich schon lange gesucht hatte“, erinnert sich Padeluun.

Im Stockwerk über den Clubräumen steht Rena Tangens am Kopierer. „Hallo“, sagt sie und reicht kurz ihre Hand zur Begrüßung, dann die dicke Pressemappe. Sie kniet sich über den Stapel Papier am Boden und ist für die nächsten Stunden wieder in Arbeit versunken. Journalisten, die den Verein zunehmend heimsuchen, behandelt der Foe BuD zuvorkommend und abwartend. Seit kurzem sehr abwartend: RTL drehte einen Bericht zum Anschlag der US- Rechtsradikalen in Oklahoma. Darin tönte der Fernsehsender, in der Foe BuD-Mailbox gäben sich, wie überhaupt in den elektronischen Netzen, „Pyromanen Tips“ für Bombenanschläge. Dagegen haben die Bielefelder gerade Strafanzeige erstattet und den Presserat eingeschaltet. Heute freilich hat Rena ohnehin Besseres zu tun: Der Foe BuD hat Freunde zu einer Party in einen Steinbruch geladen, auf der den beiden Chips-Tonnen aus dem Rechnerraum eine zentrale Rolle zugedacht ist. Gäste aus Amsterdam, Hamburg und Köln werden erwartet, bis dahin muß der Bürokram erledigt sein. „Es ist eine Ehre für dich, dabeizusein“, sagt Rena später. Auch Mailboxbetreuer Michael sitzt jetzt bei ihr in dem seltsam properen Büro im ersten Stock vor einem Computerschirm und ordnet noch schnell einige Datenklumpen. Abwechselnd klingeln Tisch- und Mobiltelefon. „Zerberus GmbH, Michael Rademacher, guten Tag“ oder einfach „Ja?“ meldet er sich.

Neun Jahre organisiert sich der Haufen von Computer-Afficionados nun schon. Noch vor dem Foe BuD rufen die Künstler 1986 die „public domain“ ins Leben, anfänglich ein monatliches Hobbyistentreffen in Bielefelds Kulturzentrum „Bunker Ulmenwall“. In den fensterlosen Keller schleppen User ihre Rechner, zeigen Eigenentwicklungen, kopieren kostenlos zugängliche „public domain“-Software und gerne auch weniger frei kopierbare. Bald aber verdrängt Geist die Hardware: Vorträge über „Künstliche Dummheit“ oder „Stoned Blackjack Wants Cookie“, über schillernde Themen wie die Arbeit in einer Potsdamer LPG, Delphinkommunikation oder Mailboxsteuerung per Hirnstrom machen die Bunkertreffen bald zu einem bundesweiten Szeneereignis. Menschen in Begleitung ihres Rechners zahlen aus Tradition heute noch ermäßigten Eintritt.

Im Bunker auch kommt es zur wenig feierlichen Foe-BuD-Gründung: Per Modem wird die Vereinssatzung vom Rechner des Chaos Computer Club geholt, vor sieben Anwesenden verlesen und ohne Diskurs verabschiedet. Einem beiwohnenden CCCler, als Postangestellter des Amtsdeutschen mächtig, fällt noch schnell der wichtig klingende Vereins- name ein, der Ahnungslose am Telefon schon mal auf eine Behörde schließen läßt.

Bis heute betrachtet der ältere CCC den Foe BuD als seine „aktive Zelle in Bielefeld“. Eine Hirnzelle vielleicht: Während der große Torso CCC mit seinen offiziell 300 Mitgliedern eher vom Nachruhm spektakulärer „Hacks“ zehrt, konzentrieren sich die offiziell 80 Menschen des Foe BuD auf netzpolitische Graswurzelarbeit: „Wir wollten uns nicht mit einem verwegenen Flair umgeben“, sagt Padeluun „sondern ein fruchtbares Umfeld bieten, in dem es möglich ist, neue Technologien in die Gesellschaft zu tragen.“ So etwas hören Journalisten der Leitmedien weniger gern als die Räuberpistole vom letzten Groß-Hack, und ab und an trägt man den gezähmten „Häckern und Häcksen“ auch an, „ob wir nicht mal, bitteschön, was wirklich Spektakuläres machen könnten“.

Das Umfeld ist dennoch fruchtbar. 1989 leistete sich der Foe BuD seine eigene „//BIONIC“-Mailbox, gleich zu Beginn angeschlossen an das mit vielleicht 700 registrierten und zahllosen nichtregistrierten Systemen größte private Computernetz in Deutschland, das „Z-Netz“. Es wird von einem betont nichttechnischen Flair umweht und erfuhr seinen Initiationsschub nach Tschernobyl: Kritische Bürger übermittelten eigene Meßwerte im eigenen Netz, das seine Daten nachts per Telefon automatisch von System zu System schob.

Bald übernimmt der fleißige Foe BuD eine wichtige Rolle im basisdemokratischen Verbund der archaischen, aber unabhängigen Bürgernetze, die heute trotz Infobahneuphorie munter weiterwachsen. Rena Tangens, die seit 1989 auf dem alljährlichen CCC-Großereignis „Chaos Communication Congress“ regelmäßig ein Seminar über „feminines Computerhandling“ hält, ist ein Häcksen-Keim im Männerbund: „Als ich zum ersten Mal auf den Kongreß kam, war Wau Hollands Freundin neben mir die einzige Frau dort“, erinnert sie sich. In den Netzen gibt es noch heute kaum mehr als vier Prozent Frauen, im Foe BuD ist ihr Anteil immerhin viermal so hoch.

Die Foe BuDler arbeiteten an der Verbesserung der namensstiftenden Z-Netz-Software „ZERBERUS“ mit, und einige haben bald darauf im gepflegten Bielefelder Büro, im Stockwerk über dem Clubkeller, mit der „ZERBERUS GmbH“ den Zentralvertrieb des Programms übernommen. Die liebevoll gehegte „//BIONIC“-Box entwickelt sich vom Beistell- schränkchen zum regalefüllenden, vernetzten Rechnerpark, bildet heute einen der wichtigsten Z-Netz-Knoten und hat trotz etwas abgelegenen Standort 900 Nutzer, viele davon außerhalb der Region oder gar im Ausland.

Die Fete im Steinbruch hat bis fünf Uhr morgens gedauert. Padeluun betritt übernächtigt, in Jeansjacke und Springerstiefeln, die kleine Bühne im Bunker Ulmenwall. Er hebt die Stimme: „Ich begrüße aus Amsterdam Rop Gonggrijp.“ Applaus. Der bekannte Ur- Hacker soll über Widerstand in einem elektronischen Überwachungsstaat sprechen, Szene aus einem Radius von 200 Kilometern ist angereist. Padeluun gibt Rop förmlich die Hand und lächelt in die Videokamera. „Guten Tag“, sagt er betont steif. Stille. „Wir haben uns zwar schon heute nacht gesehen, aber das wirkt immer so professionell.“ Lachen.

Auch auf der getragenen Computermesse CeBit schillern die Sinnstifter passend zur Umgebung. Dort hat der Foe BuD in einer Aussteller-finanzierten Alternativ-halle einen privilegierten Dauer-platz, und dort hält Padeluun im 1.000-Mark-Anzug aus dem Stand geschliffene Reden, umsorgt mit Rena gewandt die vorbeiströmenden Politiker, ziehen die Foe BuDler das gesättigte Fachpublikum ins Gespräch. Irgendwer schafft es sogar, allen Hackern einmal im Jahr eine Krawatte umzubinden.

Der Verein erreicht, was den vielen technisch so gewandten Häckern und wenigen Häcksen lange Zeit versagt blieb: Er hackt die Gesellschaft – und verschafft den Ideen der nicht krawattenkompatiblen Basis Gehör. Foe BuDler werden auf Kongressen herumgereicht, beraten die Bundesparteien bei der Einrichtung eigener Netze, lesen einen Partei- entwurf für die G7-Kommission gegen und stellen fest, daß niemand auch nur an die Erwähnung von „Demokratie“ gedacht hat. Sie monieren an einem Papier für das Europäische Parlament über die Zukunft der Informationsgesellschaft, daß die existierenden Bürgernetze schlicht übergangen werden, führen „intensive Gespräche“ mit Rita Süssmuth über das Einbringen der Bundestagspapiere in die Bürgernetze und scheitern beim Apparat mit der Forderung, irgend jemand müsse auch die rücklaufenden Kommentare in den Bundestag einbringen. Daß Netzpolitiker in zwei Richtungen denken, bleibt Verwaltungsdemokraten suspekt.

Der größte Gesellschafts-Hack aber ist perfekt, wenn ein Förder- antrag bewilligt wird, den der Foe BuD gerade gestellt hat. Mit stattlichen Mitteln soll ein Konzept umgesetzt werden, das die Netzpolitiker seit Jahren vor sich hertragen – das „Mediencafé“. Ein Kaffeehaus, in dem der Ober auch gleich beratender Daten-Broker ist und die Wirtin zum Gebäck Terminals vorhält, sollen die demokratische Technik in der breiten Bevölkerung verankern, integrierte Seminarräume den Bürgern ihre Netze nahebringen. „In jeder Stadt sollte solch ein Feuer unterhalten werden, um das sich die Leute scharen, weil sie sich da wohlfühlen“, träumt Padeluun. „Wir hätten dann ein neues Berufsbild geschaffen: den Informationsköhler.“

Die wichtigsten Datenfeuer indes, die der Foe BuD je schüren half, brennen in Zagreb, Belgrad, Ljubljana, Sarajevo, Pristina und Tuzla. Dort bilden sechs „ZERBERUS“-Systeme das „Zamir Transnational Net“, ein überregionales Computernetz „za mir“, „für den Frieden“. Über die Gräben der verfeindeten Parteien hinweg, die ihre Post- und Telefonverbindungen zueinander größtenteils gekappt haben, kommunizieren derzeit 1.600 Privatleute und 250 Organisationen per Datenverbund.

Zentraler Zensurbrecher ist ein Computer im Foe-BuD-Keller, der alle Stationen pro Tag bis zu zwölfmal anruft und Privatpost wie Beiträge für die öffentlichen Zamir-Foren, in denen problemlos durcheinander serbisch, kroatisch, slowenisch, mazedonisch, bosnisch oder ungarisch geredet wird, hin und her schaufelt. Übers Netz koordinieren Friedensgruppen und Hilfsorganisationen grenzüberschreitend ihre Einsätze, holen sich Menschen unabhängige Informationen von UNO oder Nachrichtenagenturen. Sie kontaktieren Verwandte im Ausland oder schreiben Hilfsaufrufe, und auch das inzwischen weltbekannte „Zagreb-Tagebuch“ des holländischen Friedensarbeiters Wam Kat wird in die Netze geschickt.

Foe-BuD-Mitglied Eric Bachmann, ursprünglich vom Mindener „Bund für soziale Verteidigung“ aus im Krisengebiet unterwegs, installierte die Systeme unter schwierigen Bedingungen: „Telefonleitungen sind kaum zu bekommen, hie und da müssen wir über Nacht eine Faxleitung leihen. Auch ständige Stromausfälle in manchen Gebieten machen uns zu schaffen.“ Mit Behörden allerdings gab es bisher keinen Ärger: „Im kroatischen Fernsehen wurde einmal über unsere linksradikale, staatsfeindliche Propaganda berichtet. Aber man läßt uns in Ruhe.“

Bis zum Jahresende will US- Bürger Bachmann, der ständig zwischen Deutschland und den Krisengebieten pendelt und inzwischen von Stiftungsgeldern finanziert wird, neue Netzknoten in Bosnien und Mazedonien installieren. Die Zamir-Hauptstation, die ursprünglich in Wien stand, hat er „wegen des zuverlässigsten Service, den ich kenne“, so Bachmann, in die deutsche Provinz verlegt, an den Nabel der Welt.