Kwa Zulu bleibt ANC-Feindesland

Die politische Gewalt in Südafrika zwischen ANC und Inkatha nimmt wieder dramatisch zu  ■ Aus Kwa Zulu/Natal Kordula Doerfler

Durch die grünen Hügel der Natal Midlands hallen Schüsse. Aus Pistolen und Kalaschnikows wird in die Luft geschossen, begleitet vom freudigen Aufschrei Tausender Jugendlicher. Am Grab von Harry Gwala herrscht bedrohliches Gedränge. Rund fünftausend vor allem jugendliche Trauergäste sind gekommen, um in Swayimane, nordöstlich von Pietermaritzburg, dem prominenten ANC- Mann das letzte Geleit zu geben. „Der Löwe der Midlands“ starb 74jährig nach einer langen Krankheit Ende Juni an Herzversagen.

Harry Gwala war sehr populär in Kwa Zulu/Natal. Jahrzehntelang spielte er dort eine politische Schlüsselrolle. Vor allem für die militanten Township-Jugendlichen war er ein Idol. Dem versucht die ANC-Spitze an diesem Samstag im Juli Rechnung zu tragen. Für die Beerdigung wurde eigens ein Komitee gegründet, das etwas vollmundig eines der größten Begräbnisse in der Geschichte Südafrikas angekündigt hatte. Morgens findet eine Versammlung im Jan-Smuts-Stadion in Pietermaritzburg statt, zu der fast die gesamte ANC-Spitze einschließlich des Präsidenten Nelson Mandela eingeflogen wird.

Ein kilometerlanger Autokonvoi bewegt sich schließlich in das Dorf Swayimane, wo das Grab der Familie liegt. Die 50 Kilometer lange Strecke ist von mehr als 1.000 Polizisten gesichert, um mögliche Auseinandersetzungen mit Anhängern der Inkatha-Freiheitspartei (IFP) unter Innenminister Mangosuthu Buthelezi zu verhindern. Sie hat angekündigt, die Beerdigung stören zu wollen und in den vergangenen Tagen in mehreren Orten der Provinz Straßen blockiert. Doch abgesehen von den Schüssen aus den eigenen Reihen bleibt alles friedlich.

Viele Inkatha-Anhänger haben an diesem Tag dann doch Besseres zu tun. In Umlazi, einem Township südlich der Hafenstadt Durban, rund 100 Kilometer von der Beerdigung entfernt, findet eine große Versammlung der IFP statt, zu der auch Parteichef Buthelezi eingeflogen wird. Zeitgleich zu Mandelas Beschwörungen, dem Blutvergießen ein Ende zu machen, ruft der notorische Querulant die Provinz Kwa Zulu/Natal zum wiederholten Male zum passiven Widerstand gegen die ANC-geführte Zentralregierung auf. Und bezichtigt den ANC des Mordes. Drei Mitglieder einer Familie sind in der Nacht zum Samstag in Umlazi erschossen worden. Von wem? Warum? Buthelezi weiß die Antwort: Sie seien Anhänger seiner Organisation gewesen. Ein Beweis dafür muß nicht erbracht werden.

Umlazi sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Jedes Wochenende gibt es dort wieder Tote, die Spannungen zwischen ANC und Inkatha steigen. Am 27. April, dem Jahrestag der ersten freien Wahlen, werden an einer Bahnstation fünf Menschen erschossen. Als Mandela am 1. Mai in einem Stadion spricht, kommt es zu Schießereien. Der Präsident muß eilends von der Polizei evakuiert werden. Am 5. Juni werden bei einer Demonstration von ANC und dem Gewerkschaftsverband Cosatu Busse mit Steinen angegriffen, vier Menschen in den Auseinandersetzungen getötet ...

Alltag in Umlazi ein gutes Jahr nach den Wahlen in Südafrika. Seit Mitte der 80er Jahre tobte dort, wie in vielen anderen Regionen der Provinz, eine Art Krieg zwischen Inkatha und ANC. Bis zu den Wahlen wurden in der gesamten Provinz mehr als 10.000 Menschen in dem Konflikt getötet. Nach den Wahlen nahm die politische Gewalt rapide ab, seit Anfang diesen Jahres nimmt sie wieder zu. Das belegen auch Statistiken der Menschenrechtsorganisation „Human Right Committee“ (HRC). Nach deren Zahlen für April und Mai stieg die Zahl der Toten, verglichen mit Ende vergangenen Jahres, in ganz Südafrika wieder um 25 Prozent an. Zwei Drittel aller Vorfälle wurden in Kwa Zulu/ Natal registriert. „Die Provinz ist die einzige, in der politische Gewalt des alten Stils anhält“, sagt Linda McLaine vom HRC. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die sogenannten traditionellen Führer, die Zulu- Häuptlinge. Vor allem in den ländlichen Gebieten kontrollieren sie das gesamte politische und soziale Leben. Wer etwas Land bewirtschaften oder ein Haus bauen will, muß zum jeweiligen Häuptling gehen und von ihm eine Erlaubnis einholen – meist gegen Bezahlung. Die überwiegende Mehrheit von ihnen steht auf Seiten von Inkatha und bildet die Machtbasis Buthelezis. Für die meisten ANC-Mitglieder ist Zululand immer noch Feindesland. Wer bestimmte Orte betritt, riskiert sein Leben.

Buthelezi baut auf den Einfluß der Häuptlinge, deren Einfluß allerdings nach den im November diesen Jahres stattfindenden Kommunalwahlen rapide beschnitten werden könnte. Außerdem hat der ANC einen Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem die Chiefs nicht mehr wie bislang von der Provinz, sondern von der Zentralregierung bezahlt werden sollen – was Buthelezi zutiefst erbost. Ob die Chiefs zukünftig weiterhin exekutive Macht ausüben oder nur noch eine kulturelle Funktion haben sollen, ist heftig umstritten.

Die Provinz Kwa Zulu/Natal, gebildet aus der ehemaligen Provinz Natal und dem sogenannten unabhängigen Homeland Kwa Zulu, ist für den ANC die Problemregion Nummer 1. Nur in zwei der neun neuen Provinzen verlor die Partei in den Wahlen: Western Cape an die alten Machthaber der Nationalen Partei – und Kwa Zulu/Natal an Inkatha. Jetzt regieren Inkatha, ANC und NP in einer Dreiparteien-Allianz. Ministerpräsident ist Frank Mdlalose, der seine Karriere Buthelezi verdankt, sich aber als vergleichsweise moderat erwiesen hat. In seinem Kabinett sitzen drei ANC-Minister, einer von der Nationalen Partei und vier für Inkatha.

Während der ANC vor allem in den städtischen Gebieten stark ist, hat Inkatha seine Hochburgen auf dem Land. Von den etwa 1,5 Millionen Einwohnern Umlazis haben 80 Prozent den ANC gewählt, der in Kwa Zulu/Natal entgegen seinen Erwartungen nur auf 32 Prozent der Stimmen kam. Das Township ist in Sektionen aufgeteilt, die alphabetisch benannt sind. Vor allem in den Sektionen Q, P und T ist die Gewalt wieder aufgeflammt. Die Mehrheit der Bewohner dort sind Inkatha-Anhänger. „Inkatha hat nicht genug Anhänger in Umlazi, deshalb versucht sie, die Leute auf ihre Seite zu ziehen“, sagt Thami Ntuli, der ANC-Vorsitzende von Umlazi. „Der ANC war allzu sicher, die Wahlen auch hier zu gewinnen“, kontert John Aulsebrook, der Inkatha-Vorsitzende der Region Durban und Mitglied des Provinzparlamentes. „Jetzt wollen sie keine Opposition dulden“. Neben den Versuchen der Parteien, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren, sind viele der Konflikte in Umlazi territorialer Natur: Es geht darum, bestimmte Gebiete zu kontrollieren, Häuser für die jeweiligen Anhänger zu beschaffen.

Mindestens ein Viertel der Morde der vergangenen Monate sind aber ganz „normale“ Kriminalität oder soziale Konflikte. Besonders viel Gewalt geht auch heute noch von einem von Inkatha dominierten Wohnheim für Wanderarbeiter in der Sektion T aus. „Aber Inkatha hat die Hostels nicht mehr ganz in der Hand“, sagt Linus Luthuli, einer von zwei festen Mitarbeitern des örtlichen Friedenskomitees.

Schon 1991 wurde in Durban ein Friedenskomitee für die gesamte Provinz gegründet, in dem Vertreter von ANC und Inkatha, der Kirchen, Gewerkschaften und Industrie sitzen. Ziel war es, die verfeindeten Parteien an einen Tisch zu bringen und örtliche Friedenskomitees zu gründen. „Das zumindest ist uns in Umlazi gelungen“, meint Linus Luthuli. „Entscheidend ist auch, daß heute die Polizei wenigstens teilweise mit uns zusammenarbeitet.“

Vor allem die „Kwa Zulu-Police“, die jahrelang eng mit Inkatha zusammengearbeitet hat, ist berüchtigt für ihre Todesschwadrone. Derzeit läuft eine polizeiliche Untersuchung wegen ihrer Beteiligung an politischen Morden Anfang der 90er Jahre. Die Ungeduld und das Mißtrauen der Bevölkerung sind groß. Zwei Männer wurden letzte Woche gesteinigt. Einer soll ein Vergewaltiger gewesen sein, der seine eigene Mutter sexuell mißbraucht haben soll. „Wenn die Polizei nichts tut, obwohl die Täter bekannt sind, dann greifen die Leute zu Selbstjustiz“, meint Luthuli achselzuckend.

Alle gewalttätigen Vorfälle werden von dem Komitee gesammelt und protokolliert. Wenn bei Parteiveranstaltungen Auseinandersetzungen zu erwarten sind, schickt es unabhängige Beobachter aus. „Außerdem versuchen wir Druck auf die lokalen Parteiführer auszuüben, ihre Anhängerschaft zu bändigen.“ Besonders militant seien die Jugendlichen, die sogenannte „Lost Generation“ Südafrikas. „Sie gehen nicht zur Schule, haben keinerlei Aussicht auf einen Job. Was machen sie dann? Bandenkrieg.“ Andere Teile von Umlazi sind aber friedlich, dort kümmern sich die Menschen nicht darum, wer welcher Partei anhängt. Von entscheidender Wichtigkeit, so glaubt Luthuli, sei es, bessere Lebensbedingungen zu schaffen und die Arbeitslosigkeit von mehr als 40 Prozent zu bekämpfen. Vor allem in den zahllosen wilden „Sqatter camps“, die in den letzten Jahren in Umlazi aus dem Boden geschossen sind, müsse etwas passieren.

Ansätze im kleinen dafür gibt es. Etwa in Maluazi, einer Slumsiedlung am Rand von Umlazi. Dort wurde 1993 ein offizielles Friedensabkommen zwischen ANC und Inkatha geschlossen. „Seither leben wir friedlich zusammen“, sagt Paul Thuma, der auf der Suche nach einer besseren Zukunft mit seiner Familie vom Land hierherkam. Jetzt lebt er in einer baufälligen Slumhütte, ohne Strom und Wasser – und ohne Arbeit. Thuma ist Mitglied des örtlichen Komitees für Wiederaufbau, das sich wöchentlich trifft.

Mit der Unterstützung von Stadtplanern und Architekten versuchen sie, einen Entwicklungsplan für die fast 20.000 Menschen zu entwerfen, die in dieser Slumsiedlung leben. „Wir müssen dafür sorgen, daß ihre Träume wahr werden“, sagt Johannes Subusiso Mdebele, einer der beteiligten Stadtplaner. Die Hoffnung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, daß sich nach dem Machtwechsel am Kap binnen kürzester Zeit die Lebensverhältnisse verbessern würden, wurde bislang nicht erfüllt. „Jetzt versuchen wir, hier ein normales Township zu planen, mit kleinen Häusern, Strom und Wasser“, erklärt Mdebele. Wenn die Pläne fertig sind, sollen sie der Provinzregierung übergeben werden in der Hoffnung, dann Gelder der Zentralregierung zu bekommen. „Aber es ist klar, daß nicht alle Träume wahr werden können“, seufzt er. „Das kann keine Regierung der Welt über Nacht leisten.“

P.S. Polizeibericht vom vergangenen Wochenende für die Provinz Kwa Zulu/Natal: „Mindestens 54 Menschen wurden an einem der blutigsten Wochenenden dieses Jahres ermordet. Es ist möglich, daß weitere Leichen entdeckt werden.“