Zu viel Hoffnung, zu viel Enttäuschung

Alexander Langer, der Mitvorsitzende der Europa-Grünen, wurde in Florenz erhängt aufgefunden / Zum Abschied schrieb er zwei Briefe, Gründe für seinen Tod bleiben jedoch unklar  ■ Von Werner Raith

Rom (taz) – Seine Verwandten schienen schon etwas geahnt zu haben: Nicht lange, nachdem Alexander Langer sein Haus in Florenz verlassen hatte, vergangenen Montag, gaben sie Vermißtenalarm. Am Dienstag nachmittag wurde er aufgefunden, erhängt, nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Einige gekritzelte Zettel mit der Bitte um Vergebung an seine Frau Valeria scheinen jede andere Version als Selbstmord auszuschließen. Dennoch ist der Hintergrund für die Tat des erst 49jährigen Mit- Vorsitzenden der Grünen im Europaparlament noch völlig unklar – auch wenn er in einem weiteren, deutsch geschriebenen Zettel anmerkt, daß er „die Belastungen“ nicht mehr aushalte. Um welche Belastungen es sich handelt, sagt er nicht.

Die Liste der Verdienste des 1946 in Vipiteno/Sterzing bei Bozen geborenen Alexander Langer ist umfangreicher als die nahezu jedes anderen Politikers Italiens. Sie reicht vom Einsatz für soziale Minderheiten im eigenen Land bis zum Kampf gegen das Sterben in Bosnien. Vom Export epochaler pädagogischer Erfahrungen (er hat das Buch über die nachmals berühmte „Scuola di Barbiana“ ins Deutsche übersetzt) bis zu Initiativen zur Neuordnung Europas in Regionen statt in Nationen.

Wenn ihn viele vor allem aus der jüngeren Generation heute kaum kennen, ist auch das eine seiner Meriten: Stets auf Vermittlung aus, unermüdlich in seiner Arbeit für den Frieden und für den Schutz der Umwelt, hatte er wenig Sinn für großes Spektakel. Obwohl er aus der einst eher lärmenden Studenten- und Arbeiterbewegung Lotta continua kam, zog er doch das persönliche Gespräch, den Ausgleich, die Suche nach Auswegen aus verfahrenen Situationen der harten Konfrontation vor, trotz seiner ausgezeichneten Rednergabe. Ziviler Ungehorsam gehört dazu freilich auch – seine letzte wichtige Aktion war die Anmeldung seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt in Bozen: Der Sohn eines jüdischen Arztes aus Wien wollte damit die Neofaschisten provozieren und zugleich ein Zeichen setzen gegen das unselige „Sprachgesetz“ der Region, das von jedem Bürger verlangt, sich zu einer der beiden Ethnien zu bekennen.

Langer, als Mann des Ausgleichs zwischen deutsch- und italienischsprachigen „Sudtirolesi“, lehnte diese Erklärung ab – und wurde prompt von der Kandidatur ausgeschlossen. Fernziel war, in einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof diesen Passus des Statuts für nichtig erklären zu lassen.

In den 70er Jahren, als in Italien noch überhaupt niemand und in Deutschland erst wenige die Sache des Umweltschutzes zu der ihrigen machten, arbeitete Langer mit der von ihm mitgegründeten „Alternativen Liste“ in Bozen bereits an ambientalistischen Projekten – so erfolgreich, daß die Bewegung in dieser Region noch lange „alternativ“ hieß und nicht „grün“. Anfang der 80er Jahre stand er in vorderster Linie der Nachrüstungsgegner, Mitte der 80er Jahre, als sich auch in Italien die Angst vor der Totalzerstörung der Umwelt ausbreitete, wieselte er durch Italien und gründete Hunderte von Sektionen der „Verdi“.

Dabei erwies sich allerdings auch ein Nachteil seiner Umtriebigkeit und seiner allzeit gezeigten Hilfsbereitschaft: Viele Ortsgruppen fixierten sich derart auf den Mann aus Sterzing, daß alles schnell wieder verfiel, wenn er nicht alle paar Wochen vorbeischaute. Erst 1987 gelang es, eine haltbare Formation zu schaffen, die auch in das Parlament einzog – ohne ihren „Alex“ allerdings, der sich nicht hatte aufstellen lassen. Dafür kam er 1989 mit großer Mehrheit ins Europaparlament und wurde 1994 bestätigt – mittlerweile in Brüssel oft höher angesehen als die Fraktionschefs der anderen Parteien, seiner Vielsprachigkeit wegen ebenso wie aufgrund seiner Phantasie beim Aushandeln von Kompromissen.

Was treibt einen derartigen Mann in den Tod? Adriano Sofri, einst Chef von Lotta continua, verweist auf die zunehmende Isolation Langers innerhalb der Grünen; doch Langer hatte schon oft solche Außenseiterpositionen eingenommen und überstanden. Der Streit mit seiner Frau, unmittelbar vor seinem Verschwinden? Kaum – einer der drei Abschiedsbriefe spricht von einer unendlichen Liebe zu ihr. Der Tod seines Vaters vor einem Jahr? Er hatte ihn schwer mitgenommen, und der Tag seines Todes ist nun auch der von Alexander.

Vielleicht findet sich aber auch ein Hinweis in einem Nachruf, den er selbt einmal geschrieben hat – für Petra Kelly und Gerd Bastian, auch sie aus dem Leben geschieden: „Vielleicht ist es einfach zu schwer für eine Einzelperson, zum ,Hoffnungsträger‘ zu werden: zu viele Erwartungen, die man auf sich ruhen fühlt, zu zahlreich die sich häufenden Unzulänglichkeiten und Enttäuschungen, zu fühlbar Neid und Eifersucht, zu groß die Last der Liebe zur Menschlichkeit, ohne damit etwas wirklich lösen zu können ...“