In Chiapas gehen die Uhren anders

■ Mexikos Regierung und die Zapatisten-Guerilla EZLN verhandeln wieder – mißtrauisch, ungern und erfolglos

San Andrés Larraínzar (taz) – „Spektakuläre Ergebnisse“ seien nicht zu erwarten, warnte der Regierungsunterhändler Jorge del Valle am Morgen die angereiste Presseschar, als sich am Dienstag Zapatisten der EZLN-Guerilla und Zentralregierung erstmals nach langer Pause wieder zu Verhandlungen trafen. Und auch abends waren die ReporterInnen in San Andrés Larraínzar nicht schlauer als zuvor: Nicht einmal auf eine Tagesordnung hatten sich die ungleichen Verhandlungsdelegationen einigen können.

Strittig sind dabei nicht so sehr die vorgesehenen Themen – wie „indianische Rechte“, „Wohlstand und Entwicklung“, „Demokratie und Gerechtigkeit“ – als vielmehr das Prozedere. Während die Regierung die Punkte gerne zügig en bloc abhandeln möchte, besteht die EZLN darauf, „Punkt für Punkt“ zu verhandeln und alle Themen mit ihrer Basis abzustimmen. „Wir sind es nicht gewohnt, wie Berufspolitiker alles gleichzeitig zu diskutieren“, so Comandante Zebedo am Abend. Aber auch auf das zapatistische Argument, daß die „indianischen Zeiten“ anders seien als die des weißen Mannes und der Dialog deshalb langfristig konzipiert werden müsse, reagieren die Regierungsgesandten eher gereizt. „Von wegen indianische Zeit“, meinte ein Regierungsvertreter kürzlich zu seinem maskierten Gegenüber, „du trägst doch auch eine japanische Uhr am Handgelenk.“ Seit dem offiziellen Gesprächsauftakt vor drei Monaten unterstellen beide Seiten der jeweils anderen regelmäßig „fehlende Verhandlungsbereitschaft“ – und haben darin wohl nicht ganz unrecht. Denn unterschiedlicher könnten die Erwartungen an den Dialog kaum ausfallen: Während die Regierung die Region schleunigst befrieden und dabei keinesfalls über die nationalen Essentials der EZLN verhandeln will, hofft die Indianerguerilla vor allem, sich Gehör zu verschaffen und ihre soziale Basis zu vergrößern.

Per Plebiszit von der Guerilla zur Partei

Daß ihr Gegenüber dabei weniger die Regierungsdelegation als die nationale und internationale Öffentlichkeit ist, zeigte sich auch an der originellen Plebiszitinitiative, mit der die Aufständischen schon beim letzten Treffen aufwarteten. Danach soll die delikate Frage der „Verwandlung in eine politische Kraft“ in einer landes- und sogar weltweiten Umfrage entschieden werden. Befragt werden sollen Menschen aus aller Welt nach ihrer Meinung zu den wichtigsten Forderungen des mexikanischen Volkes, der Notwendigkeit einer Politreform, aber auch zum politischen Quo vadis? der EZLN: Bewahrung der Unabhängigkeit oder Zusammenschluß mit anderen politischen Kräften? Die Ergebnisse dieser ungewöhnlichen Volksbefragung sollen bis zum 8. August vorliegen, um auf dieser Basis den „weiteren Kurs in den Verhandlungen mit der Regierung“ festzulegen. Diese reagierte entsprechend erbost auf den medienwirksamen Vorstoß der Zapatisten. Die EZLN versuche lediglich „Zeit zu gewinnen“, so Jorge del Valle.

Im Gegenzug aber werde man selber – „mit oder ohne Einigung mit der EZLN“ – die sozialen Probleme im Bundesstaat angehen und „ab sofort“ verstärkt lokale Projekte fördern. Was Beobachter für eine geschickte Strategie zur Austrocknung der zapatistischen Basis halten, ergänzte Chefunterhändler Marco Antonio Bernal vor wenigen Tagen noch mit einer unmißverständlichen Drohung: Bei einem Abbruch der Gespräche durch die Zapatisten sähen sich die Behörden „umgehend gezwungen, das Dialoggesetz anzuwenden und die suspendierten Haftbefehle gegen die Zapatistenführer wieder in Kraft treten zu lassen“.

Weiter verschärft hat sich das Klima mit der Ausweisung von drei ausländischen Priestern, die Ende Juni von der Militärpolizei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unter dem Vorwurf der „Einmischung in nationale Politik“ gewaltsam in ihre Heimatländer verfrachtet wurden. Mitarbeiter der Diozöse von San Cristóbal halten die Attacke gegen die ausländischen Geistlichen für eine „gezielte Schwächung“ von Bischof Ruiz und für einen neuen „Bestandteil des „Low-intensity-Krieges“, der im chiapanekischen Krisengebiet seit vielen Monaten geführt werde. Anne Huffschmid