Ausgeklinkte Zahnklempner

■ Bei ihrem Kassenboykott verlegen sich Niedersachsens Zahnärzte auf wüste Beschimpfungen des Sozialministers

Hannover (taz) – Unter Niedersachsens Zahnärzten, die sich gegenwärtig im Kassenboykott versuchen, sind sich einige für wüste Beschimpfungen nicht zu schade. Landessozialminister Walter Hiller, der gestern von einem baldigen Ende der Boykottaktion ausging, hat in den vergangenen Tagen ein Reihe höchst beleidigender Briefe erhalten. „Sie haben im o.g. Schreiben an die Kassenärtzliche Vereinigung die Nummer ihrer SS- Dienststelle vergessen“, schrieb etwa ein Dr. Rainer Hersener dem Sozialminister und tat kund, daß er das ministerielle Schreiben „momentan zwecks weiterer Nutzung auf dem Plumpsklo meiner Gartenvilla“ hängen habe. Ein Dr. med. Möller schrieb: „Gewiß, Sie werden die Zahnärzte nicht gleich in Gaskammern vernichten, aber Sie treten dabei im Namen des Volkes auf grundlegende Freiheitsrechte der Bürger.“

Unter den schimpfenden Dentisten findet sich auch Dr. Ehrhard, Vorstandsmitglied der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsens (KZVN). Er warf dem Minister vor, „eine sozialistische Machtergreifung in unserem Lande zu installieren“.

Sozialminister Hiller will nun zwar strafrechtliche Schritte gegen die wütenden Zahnärzte prüfen, blieb aber gestern in Sachen Kassenboykott gelassen. Der von ihm bei der KZVN eingesetzte Staatskommissar habe alle Zahnärzte auf ihre Pflicht, gegen Chipkarte zu behandeln, hingewiesen. Mit einem baldigen Abschluß von neuen Honorarverträgen zwischen KZVN und Krankenkassen werde der Staatskommissar möglicherweise schon in der nächsten Woche seine Aufgabe abschließen.

Der Streit mit der KZVN und dem hinter ihrem Vorstand stehenden „Freien Verband Deutscher Zahnärzte“ wird nach Hillers Auffassung jedoch andauern. Der Verband wolle sich ein immer größeres Stück vom Kuchen der Versicherungsleistungen abschneiden, er wolle ein grundlegend anderes Abrechnungssystem und das Sozialleistungsprinzip beseitigen. Hiller forderte diejenigen Zahnärzte, „die aus diesem System aussteigen wollen“, erneut auf, „sich auf dem Markt zu bewähren und nur noch Privatpatienten gegen Rechnung zu behandeln“. Bei den niedersächsischen Kassen geht man davon aus, daß der Kassenboykott weiter bröckelt. Jürgen Voges