Major hat die Karten neu gemischt

■ Heseltine wird stellvertretender Premier / Euro-Gegner bleiben ungeschoren

London/Berlin (taz) – Der britische Premierminister John Major hat gestern sein Kabinett gründlich durcheinandergewürfelt: Über die Hälfte der Posten wurde neu besetzt. Nachdem er die Wahl zum Parteiführer am Dienstag mit 218 zu 89 Stimmen gegen den Rechtsaußen John Redwood gewonnen hatte, blieb die Rache an den „Bastards“, wie er die Euro- Gegner in seinem Kabinett genannt hatte, jedoch aus. Der bisherige Arbeitsminister Michael Portillo, der Major in den vergangenen zwei Wochen nur halbherzig unterstützt und insgeheim an seiner eigenen Wahlkampagne gebastelt hatte, wurde zum Verteidigungsminister befördert. Der bisherige Verteidigungsminister Malcolm Rifkind wird Außenminister. Michael Forsythe, ein überzeugter Thatcherist, wird Schottland-Minister, während Michael Howard das Innenministerium behält. Handelsminister Michael Heseltine, dessen letzte Chance, den Job des Premierministers zu bekommen, nun perdu ist, wurde als Belohnung für seine Loyalität von Major zum stellvertretenden Premier und Parteivorsitzenden ernannt. Heseltines alter Job geht an den bisherigen Schottland-Minister Ian Lang, auch ein treuer Major-Anhänger. Der 34jährige William Hague vom rechten Parteiflügel beerbt den Major-Rivalen John Redwood als Minister für Wales. Das Arbeitsministerium wird abgeschafft, das Ressort wird dem Erziehungsministerium unter Gillian Shephard zugeschlagen.

Der europafreundlichste Minister und Dorn im Auge der Tory-Rechten, Schatzkanzler Kenneth Clarke, bleibt in seinem Amt. Zweiter Mann hinter Clarke wird als Staatsminister der bisherige Agrarminister William Waldegrave. Der Posten gilt als Sprungbrett: Seine Vorgänger hießen Portillo und Major.

Bis zu den nächsten Unterhauswahlen, die spätestens im Frühjahr 1997 stattfinden müssen, hat Major nun erst mal Ruhe: In diesem Jahr kann er nicht mehr herausgefordert werden, und auf dem Parteitag im Herbst 1996 werden sich die Tories hüten, sich so kurz vor den Wahlen wieder öffentlich zu streiten. Das heißt freilich nicht, daß Majors Position nun gestärkt ist: Der rechte Parteiflügel wird mißtrauisch jeden seiner Schritte beobachten. Hinzu kommt, daß die gesamte Tory-Presse den Premierminister im Vorfeld der Parteiwahl bereits beerdigt hatte. Major könne nicht mal eine Warteschlange vor dem Kino anführen, höhnte die Sun, geschweige denn ein ganzes Land. Die Hoffnung, man könnte still und heimlich wieder hinter den Premier einschwenken, wenn Gras über die gehässigen Kommentare gewachsen ist, wird die Labour Party mit Vergnügen zunichte machen. Für die Opposition endete die Tory- Wahl mit einem Wunschergebnis: ein Sieg für Major, der wenig überzeugend ist.

Für die Tory-Abgeordneten war es das kleinere Übel. Mit Major werden sie zwar kaum die Parlamentswahlen gewinnen, doch mit Redwood hätten sie noch mehr Sitze verloren. Eine Karikatur im Daily Telegraph brachte es auf den Punkt: Darauf ist eine Schar Ratten zu sehen, die hektisch in Richtung Tory-Schiff schwimmen. „Los, schnell“, ruft einer der Nager, „alle zurück an Bord!“ Ralf Sotscheck

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