Rundumschlag

■ Wohnkultur, Folge 4: Für das kultivierte Laisser-faire

Es soll ja Menschen geben, die sich nicht von ihren Büchern trennen. Mein Exkollege Karl zum Beispiel, das ist so einer. Für seinen nächsten Umzug hat er 120 (!) Kisten allein für seine Bücher angefordert. Mein Verhältnis zum Besitztum ist eher unkompliziert. Wenn sich in dem kleinen Ikea-Regal die Bücher in der zweiten Reihe stapeln, kommen sie weg. Abgelegte Schuhe und Klamotten, alte Liebesbriefe und andere Zettel – alles wird bei mir gnadenlos entsorgt. Möbel finde ich ebenfalls doof, deshalb halte ich Ordnung durch offensives Wegwerfen. Das ist mein Beitrag zu dem, was ich als meine persönliche „Wohnkultur“ bezeichne. Darüber gibt es allerdings geteilte Meinungen.

„Wohnkultur? Hast du doch gar nicht!“ wollte mir neulich meine Freundin Astrid einreden, die übrigens Innenarchitektin ist. Denn nicht einmal die paar Möbelstücke, die ich mein eigen nenne, erwecken in ihr den Eindruck, als seien sie nach geschmackssicheren Kriterien angeschafft. Da ist was dran. „Von deinen blöden Ikea-Möbeln könntest du dich auch langsam mal trennen“, schlägt die Berufsästhetin vor. In der Tat scheinen die meisten Dinge eher zufällig bei mir gelandet zu sein. Wie die alte, scheußliche Messingstehlampe, die ich damals bei meinem Auszug aus dem Elternhaus abgestaubt hatte. Oder die Wäschespinne, die im Laufe kürzester Zeit zu einer Art Mobiliar mutiert ist. Weil ich nicht im Besitz eines Kleiderschrankes bin, hängt die Wäsche dort doch ganz gut. Ich würde natürlich niemals ernsthaft behaupten, daß es bei mir zu Hause schön sei. Aber ist ein gepflegtes Laisser-faire nicht auch ein Wohnstil, den man als kultiviert bezeichnen kann?

Wenn ich im Zusammenhang mit meinen vier Wänden den Begriff „Kultur“ ins Rennen schicke, bricht meine Mutter direkt in schallendes Gelächter aus. „Stark entwicklungsbedürftig“ war ihr Kommentar. Denn Wohnkultur habe schließlich etwas mit einer Entwicklung zu tun, sei – gleich einer Zivilisation – etwas Gewachsenes. Schaue man bei anderen Leuten in die gute Stube, dann sage das etwas über die Persönlichkeit des Menschen aus. „Bei dir sieht es so aus, als wohntest du gar nicht da“, resümierte sie, „und bei einem Blick in dein Bücherregal käme man ja nicht einmal auf die Idee, daß du studiert hast.“ Als ich mir vor Jahren zwei preiswerte Stahlrohrsitzmöbel für den Fernseher gekauft hatte, freute sie sich darüber wie ein Hundebesitzer, dessen Vierbeiner gerade sauber geworden ist. Wertete sie diese Anschaffung doch als erstes Anzeichen dafür, daß ihre Tochter endlich seßhaft, also erwachsen geworden ist. Hinter dieser Freude steckt zweifellos ein pädagogisches Konzept. Besitz verpflichtet, das weiß jeder. Je kostbarer die Dinge sind, die man hat, und je mehr man an ihnen hängt, desto intensiver pflegt man sie. Zeitraubendes Teppichfransenkämmen, Möbelpolieren, Bücherabstauben – wer will das schon? Ich dagegen pflege mein Zuhause lieber nicht, ich wohne einfach. Kirsten Niemann