Brechtgardine mit röhrendem Hirsch

■ Kleinbürgermassaker: Theater Brot und Spiele zeigt Gert Hofmann-Stücke

Der Terror lauert in den Wohnzimmern, den Wirtshäusern, den Amtsstuben. Denn der schrecklichste der Schrecken ist der wildgewordene Kleinbürger. Wenn das Selbstmitleid des ewig Zurückgesetzten in Rachgier umschlägt, badet er in Blut. Sein grausames Chaos trägt das Motto: “Ordnung schaffen, scharf durchgreifen!“

Ein frühes Theaterstück und eine spätes Hörspiel des vor drei Jahren verstorbenen Autors Gert Hofmann behandeln ähnliche Themen auf sehr verschiedene Art. Das 1963 uraufgeführte Stück „Der Bürgermeister oder wie ich die natürliche Scheu vor der Macht überwinde“ ist eine groteske Parabel, „Empfindungen auf dem Lande“ von 1992 ein psychologisch dichter Monolog.

Neben diesen beiden Stücken um Frust und Macht hat die Gruppe Brot und Spiele das 1979 entstandene Hörspiel „Die Überflutung“ auf die Bühne gebracht – ein Querschnitt durch Hofmanns umfangreiches Werk also. Die Schauspieler sind an verschiedenen Theatern fest engagiert und nutzen die Sommerpause für dieses Projekt. „Geld verdienen und nebenher Sachen machen, die wir wichtig finden“ , sei das Programm der Gruppe, erklärt der Schauspieler Patrick Winczewski.

Otto Moll ist seit 32 Jahren nicht befördert worden. „Na Moll, Sie alte Null?“ pflegt sein Vorgesetzter ihn anzureden, und seine gelangweilte Therese verachtet ihn aus ganzem Herzen. Apathisch hocken die beiden im Wohnzimmer, als plötzlich unerwarteter Besuch durchs Fenster steigt – der Berufsterrorist Wilhelm Nachtigall. Die Kleinbürger mögen ihn und nehmen dem Gast, nach dessen allnächtlichen Absenzen regelmäßig Morde und Diebstähle gemeldet werden, bereitwillig die lächerlichsten Ausreden ab – Biedermänner und ein Brandstifter.

Aber während den Biedermanns am Ende das Dach über dem Kopf abbrennt, erwacht in den Molls die Lust am Terror. Nachtigall will „die Welt verändern“, Moll gelingt es: Am Ende diktiert er Todeslisten.

Marjam Azamoun, die in allen drei Inszenierungen Regie führt, spielt Therese mit umwerfend vulgärer Koketterie. Ihre quäkige Stimme wird dunkel vor Geilheit, wenn sie Nachtigall (Dirten Püttmann) akrobatisch-brutal verführt und zusammen mit Otto (Cornelia Margarete Kurth) abschlachtet. Alles ist farcenhaft übersteigert, ohne je überdreht zu wirken. Eine Brechtgardine mit einem röhrenden Hirschen darauf ist das wichtigste Ausstattungsstück der Parabel, die übrigen Requisiten sind beliebig verschiebbare blaue Kuben. In „Empfindungen auf dem Lande“ werden sie zur Büroeinrichtung des Beamten H.

Sorgfältig hängt Heinz-Rudolf Müller seine Jacke auf einen Würfel, schenkt sich Bier ein, packt die Aktentasche aus und beginnt ruhig seinen Bericht über die Unterbringung von 85 Asylanten in sieben bayerischen Dörfern – eine faszinierende Charakterstudie über einen naiven, selbstgerechten, narzißtisch gekränkten Pedanten. Hin- und hergerissen zwischen Staatstreue und rassistischem Haß, läuft der Beamte schließlich Amok.

Das zweite Hörspiel „Die Überflutung“ ist der Monolog eines alten Mannes (Patrick Winczewski), der den Erinnerungen an die Bombennächte nicht entkommen kann: „Offensichtlich ist mein Kopf nach dem Ende des Krieges nicht enttrümmert worden.“ Auf den Straßen der wiederaufgebauten Stadt sieht er Trümmer und Gehenkte, hört die Schreie der Sterbenden. Ein kurzes, bitteres Stück über die traurige Wahrheit, daß die Zeit eben nicht alle Wunden heilt. Miriam Hoffmeyer

Gert Hofmann-Triptychon bis 23. 7., Do-So, 20.30 Uhr: „Die Überflutung“, Fr, 23 Uhr: „Empfindungen auf dem Lande“, Sa, 23 Uhr: „Die Überflutung“, Regie: Marjam Azemoun, mit: M. Azemoun, C. M. Kurth, H. R. Müller, D. Püttmann, P. Winczewski. Brot und Spiele im Kato im U-Bahnhof Schlesisches Tor, Kreuzberg