Abschied von TV pur

■ C-Span, US-Sender für "public affairs", hat in Europa keine Frequenz mehr

„Wir heißen Sie willkommen bei C-Span“, begrüßte bis zum letzten Wochenende ein Sender regelmäßig seine Fernsehzuschauer in Europa, dessen voller Name „Cable Satellite Public Affairs Network“ lautet. Doch seit dem vergangenen Wochenende hat das TV-Programm, das Diskussionen, Pressekonferenzen und politische Reden aus der US- Hauptstadt überträgt – eben das, was mit „public affairs“ bezeichnet wird –, keine Satellitenfrequenz mehr in Europa. Das Besondere des Senders: Es wird überhaupt nichts kommentiert.

In der Nähe des Washingtoner Kapitols sitzen die 200 Angestellten, Techniker und Moderatoren. Letztere erinnern – untypisch für amerikanische Verhältnisse – so gar nicht an „overstylte“ Filmschauspieler. Nachrichten und Meldungen werden hier nicht als Show verkauft, sondern nüchtern, unaufdringlich anmoderiert, mit einem spärlichen Hintergrund; als Dekoration dient maximal eine Bücherwand. Nichts unterbricht diese Bilder: keine Show, keine Werbespots.

Selbst der Fernseh- und Kulturkritiker Neil Postmann („Wir amüsieren uns zu Tode“) ist begeistert vom C-Span-Programm: „Ich finde es wunderbar! Fernsehen ohne Hektik, ohne aufdringliches Szenengequatsche, ohne Verschönerung der unheilen Welt, ohne imaginäre Visualisierung. Es überwiegt die journalistische Objektivität, es spricht das Bild.“

Mehr als zwei Jahre lang war C- Span auch in Europa via Satellit (Eutelsat 13 Ost) im Programm des staatlichen amerikanischen Fernsehsenders WorldNet zu sehen, das durch Sendezeitenaustausch auf dem Transponder von Deutsche-Welle-TV zu empfangen war. Doch seit dem 1.Juli sendet Deutsche Welle-TV volle 24 Stunden pro Tag, und so mußte C-Span den Platz räumen. Der Hörfunk-Ableger dagegen bleibt jeden Samstagabend ab 20 Uhr Washingtoner Ortszeit in Europa über das Londoner World Radio Network auf Sendung – als Tonunterträger des britischen Ablegers von MTV.

Erfunden hat diese Art des Fernsehens Brian Lamb (54), seit 1979 Hauptmoderator und Leiter der Redaktion: „Immer schon“, sagt er, „hatte ich ein starkes Bedürfnis, mit eigenen Augen zu sehen, wie sich die Dinge wirklich verhalten.“ Mit einem Minimalbudget startete er 1979 den ersten C-Span-Kanal, finanziert wurde das Programm von der Kabelindustrie, eigentlich als Imagewerbung für die Kabel-Giganten. Anfänglich erreichte er 3,5 Millionen Haushalte, heute bestrahlt C-Span mehr als 63 Millionen und damit etwa zwei Drittel aller Fernsehhaushalte in den USA. Der Ableger „C-Span 2“ kann von knapp 35 Millionen Fernsehhaushalten empfangen werden.

Mit 25 Millionen Mark hat das Unternehmen ein für zwei Programme äußerst niedriges Budget. Doch mittlerweile werden neben der Parlamentsberichterstattung auch „Call Ins“ mit renommierten Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur veranstaltet, die sich anrufenden Zuschauern stellen müssen – das läßt die Quote steigen. Die Attraktivität des Programms wiederum fördert das Spendenaufkommen aus Wirtschaft und Politik, auf das die Sender angewiesen sind.

Daß C-Span immer auf „Ballhöhe“ ist, bewies der letzte US- Präsidentschaftswahlkampf, in den sich der Sender mit Vehemenz eingeschaltet hatte. Insgesamt mehr als 1.200 Stunden wurden übertragen, von den Vorwahlen bis zur letzten Auszählung. Und schon im Sommer 1993 begann man dann, erste Berichte über den nächsten Präsidentschaftswahlkampf für 1996 zu zeigen. „Eigentlich wollten wir gar nicht so früh anfangen“, meint Politikchef Steven Scully, „doch die Ereignisse haben eben bereits begonnen.“

Die Maxime des Senders: Immer politically correct. Und zwar im Sinne von „genau“. Bis auf das kleinste Detail wird alles haarklein gezeigt, was Politiker von sich geben. Für Präsident Clinton ist das ein ideales Argumentationsfeld: „Er ist mit den Medien vertraut genug, um zu wissen, daß er dadurch den Menschen näherkommen kann“, erklärt die Vize-Chefin und Moderatorin Susan Swain diesen intimen Front-Journalismus. Zusätzlich berichtet man einmal die Woche aus der Moskauer Duma, genauso aus dem britischen House of Commons, auch Parlamentssitzungen aus Hongkong, Neuseeland, Israel, Irland, Frankreich und nicht zuletzt der Bundesrepublik werden live übertragen.

„Was wir machen, ist Fernsehen pur. Eine Gelegenheit für alle Zuschauer, mittels Kameras an möglichst vielen Orten zugleich zu sein, ohne von uns hören zu müssen, was sie denken sollen.“ Der Verzicht auf Hektik schält das Zeitlose heraus und gibt Gelegenheit zum Selberdenken. Worauf jetzt in Europa mangels Frequenz erst einmal verzichtet werden muß. Carsten Heeren