■ Ausbruchsvorbereitung der RAF-Gefangenen Eva Haule
: Die Quittung

Eva Haules unkonventionelle Überlegungen zur Verkürzung ihrer Haftzeit sind ein Menetekel. Es läßt ahnen, welche Restrisiken die überwunden geglaubte Auseinandersetzung zwischen Staat und linker Metropolenguerilla für die Zukunft noch bereithält. Auch eine Befreiungsaktion kann, verläuft sie nicht „nach Plan“, Opfer kosten. Auf beiden Seiten.

Die Politik, deren Aufgabe es wäre, dieses Risiko zu begrenzen und schließlich aufzulösen, hat sich anderen Problemen zugewandt, seit die „Rote Armee Fraktion“ vor über drei Jahren den Waffenstillstand ausrief. Die politisch Verantwortlichen überlassen die Abwicklung dem Apparat, der durchaus eigene Interessen verfolgt, die der Befriedung entgegenlaufen. Die Stationen der Abwicklung durch den Staatsschutzapparat lassen sich benennen. Die berühmteste trägt den Namen Bad Kleinen. Auf dem Kleinstadtbahnhof am Schweriner See zerstörten Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt endgültig den von der Politik zuvor zögernd beschrittenen Pfad der bewußten Deeskalation. Der war seinerzeit eng mit dem Namen eines erfolgreichen Justizministers verbunden: Klaus Kinkel. Auch der Gegenkurs des Apparats, dem der Begriff der Rache nicht fremd ist, trägt einen Namen: Alexander von Stahl. Er war es, der Anfang der neunziger Jahre darauf bestand, eine ganze Reihe von Langzeitgefangenen der RAF noch einmal vor den Kadi zu zerren, um ihnen jede Perspektive auf eine Entlassung zu nehmen. Eine der Betroffenen war Eva Haule, die 1994 nach einer zuvor 15jährigen Haftstrafe „lebenslänglich“ erhielt.

Der Haule-Kassiber legt den Schluß nahe, daß ihr Nachdenken über Abkürzungen zur Freiheit genau in dem Moment einsetzte, als das Urteil lebenslang vorlag. Die Umstände seiner Entdeckung und sein Inhalt bedeuten aber noch mehr: Die düstere Haftperspektive von kaum zehn Gefangenen motiviert bisher nicht in Guerillatechniken bewanderte junge (?) Leute, sich diese anzueignen. Es ist das immer gleiche, schräge Lied: Der Apparat tut – gewollt oder nicht – alles dafür, daß die bewaffnete Militanz weitergeht. Daß gegen Eva Haule und Birgit Hogefeld (die von dem Kassiber oder Haules Überlegungen nicht einmal wußte) nun erneut wegen „Mitgliedschaft in der RAF“ ermittelt wird, paßt in dieses absurde Bild. Ende August wird in Stuttgart-Stammheim Sieglinde Hofmann erneut vor Gericht erscheinen. Im Mai hatte sie ihre 15jährige Haftstrafe abgesessen. Nun droht – wie bei Eva Haule – lebenslänglich. Keine Frage: Über kurz oder lang wird die Quittung präsentiert, wenn die Politik weiter der Justiz allein das Feld überläßt. Gerd Rosenkranz