„Aufmerksamkeit ist eine sehr knappe Ressource geworden“

■ Der Werbefachmann Horst Wackerbarth über den Dreiklang von Markenbekanntheit, Markensympathie und Markenbesitz

Horst Wackerbarth (45) hat in Kassel Fotografie studiert. Bekannt wurde er 1994 durch ein Abendmahl-Foto mit Frauen für die Modefirma Otto Kern.

taz: Wie funktioniert Schockwerbung?

Horst Wackerbarth: Wenn die Menschen die Nachrichten selbst nicht mehr sehen können, weil es ihr Belastungsvermögen übersteigt, übernimmt die Werbung diese Rolle. Es ist schwer, gegen den Bosnienkrieg etwas zu unternehmen, aber es ist unglaublich leicht, gegen Benetton zu sein, die in einem Plakat den Bosnienkrieg zeigen.

Aber die Werbung funktioniert doch. Benetton kommt mit solchen Bildern in die Medien.

Sicher funktioniert das. Die Bilder aus den Bildkonserven wirken wieder, wenn man den Kontext wechselt. So erreiche ich Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit ist eine sehr knappe Ressource in westlichen Gesellschaften.

Reicht das denn für den Verkauf?

Marketing steht heute vor einem ganz anderen Problem. Es gibt den Bedarf nach der Ware nicht mehr, die Regale sind voll. Die Märkte sind völlig unkalkulierbar. Deswegen tritt immer mehr der geistige Mehrwert statt des Produkts in den Vordergrund. Porsche schreibt heute auch unter sein Auto: Dieses Auto ist grüner, als sie denken. Die traditionellen Sinnstifter Kirche, Kunst und Politik haben dieses Terrain aufgegeben. Werbung ist dabei, sinnstiftende Funktionen zu übernehmen.

Bei Benetton ist die Bekanntheit der Firma zunächst ungeheuer gewachsen. Dann aber sind die Leute weggeblieben.

Benetton gilt als eine der erfolgreichsten Aktien Europas. Der Umsatz der Firma ist von 1,7 Milliarden Mark auf drei Milliarden Mark gestiegen. Benetton ist aber nicht mehr alleine. Auch H&M bemüht sich um die junge Generation. Diese jungen Leute sind mit einer Marke ganz schnell verbunden, entziehen ihre Gunst aber auch blitzschnell wieder.

Wenn die Werbestrategie von Benetton eigentlich erfolgreich war, wieso folgen dann andere Firmen nicht nach?

Die folgen nicht plump. Vieles, was Sie heute auf Plakaten sehen, was ihnen gar nicht mehr auffällt, wäre ohne Benetton gar nicht möglich gewesen. Zum Beispiel Shell. Shell hat Müllberge gezeigt und druntergeschrieben: Das wollen wir ändern. Und die Werbung hat wunderbar funktioniert. Ohne diese Kampagne wären die Proteste gegen Shell nie so erfolgreich gewesen. Bei Benetton und bei Shell zeigt sich eins: Unternehmen müssen Marketing-Kommunikation und Handeln heute in Einklang bringen. Wir sprechen im Marketing vom Dreiklang. Markenbekanntheit, Markensympathie und Markenbesitz. Bei einem gesunden Dreiklang soll sich die Markenbekanntheit zu 25 Prozent in Markensympathie umsetzen und die wiederum zur Hälfte in den Kauf. Das Problem von Benetton ist die Glaubwürdigkeit. Ich kann nicht solche Anzeigen machen und gleichzeitig in der Formel-1 altertümliche Verbrennungsmaschinen im Kreis herumfahren lassen. Ich darf auch keine Knebelverträge mit Händlern machen.

Und die Glaubwürdigkeit der Kritiker Benettons?

Die Proteste kommen sehr stark vom Werberat und den Agenturen. Benetton hat keine Werbeagentur. Die machen ihre Kampagne selbst mit Fotografen. Oliviero Toscani sagt immer: Wir machen diese Anzeigen, damit die Journalisten darüber schreiben und wir irgendwann gar keine Werbeanzeigen mehr zu schalten brauchen. Das ist tödlich für die Werbebranche, solche Äußerungen. Offenbar wird mit ethischen Vorwänden hier eine wirtschaftliche Auseinandersetzung ausgefochten. Es ist der Wirtschaft ein Dorn im Auge, wenn ein Werbeetat von 120 Millionen an den Agenturen und Medien vorbeigeht.

Das Gespräch führte

Hermann-Josef Tenhagen