Das Schreckliche soll beim Gewissen bleiben: Der Bundesgerichtshof verbietet Benetton die Verbreitung furchterregender Bilder. Es sei sittenwidrig, mit Leid und Not die "Solidarisierung des Verbrauchers" hervorzurufen - und damit zu verdien

Das Schreckliche soll beim Gewissen bleiben: Der Bundesgerichtshof verbietet Benetton die Verbreitung furchterregender Bilder. Es sei sittenwidrig, mit Leid und Not die „Solidarisierung des Verbrauchers“ hervorzurufen – und damit zu verdienen

Jenseits des sauberen Bodydesigns

Jetzt ist es amtlich: Die italienische Firma Benetton darf einige ihrer Anzeigen nicht mehr publizieren und hätte es auch nicht dürfen. So der Bundesgerichtshof in Karlsruhe – wobei dessen knappe Mitteilung offen läßt, auf welchen Paragraphen welchen Gesetzes sich das Urteil überhaupt bezieht, das dem Konzern und in zweiter Linie auch der Illustrierten Stern verbietet, bestimmte Motive im Zusammenhang mit dem patentierten Slogan der „United Colors of Benetton“ wiederholt zu publizieren.

Angesichts der Tatsache, daß die umstrittenen Motive zu Kampagnen gehören, die vor zwei und drei Jahren gelaufen sind, mutet das von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs erwirkte Urteil etwas weltfremd an. Es bedeutet aber, daß die Strategie, Nachrichtenfotos einzukaufen und über Plakate und Anzeigen unkommentiert zu streuen, in Zukunft einer Prüfung standhalten muß, die das Gericht anhand dreier Fälle vorgibt.

Dabei wird das dritte Motiv gesondert kommentiert: die „Abbildung eines menschlichen Körperteils, dem ein ,H.I.V.-POSITIVE‘- Stempel aufgedrückt war“. Dazu meint der zuständige 1. Zivilsenat des Gerichts, es sei sittenwidrig, weil es „die Würde eines HIV-Infizierten Menschen mißachtet“ und daher „grob wettbewerbswidrig“ ist. Alle drei Motive aber seien sittenwidrig, weil „die Firma Benetton mit der Darstellung schweren Leids der Kreatur das Gefühl des Mitleids der Verbraucher anspricht, sich dabei als gleichermaßen betroffen darstellt und somit eine Solidarisierung der Einstellung solchermaßen berührter Verbraucher mit seinem Namen und zugleich mit seiner Geschäftstätigkeit herbeiführt“. Kurz: Benetton gelingt es, Mitleid zu wecken, aber es nützt am Ende der Firma, die jene Klamotten verkauft, die nach globalem Dorf aussehen.

Vergleicht man die beiden Werbestränge von Benetton über die letzten zehn Jahre, wird klar, was zur Disposition steht. Niemand stört sich an putzigen Bildern von schwarzen und weißen Menschen, die strahlend und gesund die bunten Klamotten des Herstellers zur Schau tragen. Und auch nicht, wenn die vielfarbigen Kids ihre Zunge herausstrecken. Mit dem Gleichheits- und Versöhnungsgedanken darf Reklame gemacht werden. Nicht aber – wenn das Urteil sich als tragfähig erweist – mit Bildern, die den schönen Wunsch als schönen Schein widerlegen. Eine ölverklebte Ente oder Schwerstarbeit von Kindern in der Dritten Welt sind künftig keine zulässigen Motive mehr.

Die Verantwortung, die auf den Redaktionen lastet, haben zuerst die RedakteurInnen der britischen Elle gespürt, als sie vor drei Jahren die Abbildung eines Aidskranken kippten. Die Mode- und Beautybranche war von vornherein empfindlicher für die Strategie des Benetton-Art-directors Oliviero Toscani, „harte“ Nachrichtenfotos im Werbeblock in Umlauf zu bringen. Kein Wunder, denn diese Bilder werden von den Magazinen des Luxus und der Moden tatsächlich ausgeblendet.

Für ein Magazin wie den Stern trifft das nicht in gleichem Maß zu, weil eindeutige News zum Konzept der Illustrierten gehören – auch wenn nie jemand danach gefragt hat, ob die „Solidarisierung“ der Stern-Leser den Stern als Produkt nicht automatisch mit einschließt. Für den redaktionellen Teil wurde die Wettbewerbsfrage nie gestellt. Nun hat Benetton eben diese ordentliche Trennung der Rubriken durchbrochen. Nachrichten blieben Nachrichten, aber das Logo im ganzseitigen rahmenlosen Bild war dann eben nicht das der Redaktion, sondern das einer Firma. Das ist kritisch, könnte man sagen: denn die Firma verkauft nicht Nachrichten, sondern Kleidung. Was allerdings letztlich auch für die Illustrierten gilt: Sie verkaufen die Anzeigenplätze, die mehr Erlös bringen als der Verkauf der Zeitschrift selbst.

Noch kurioser wird die Konstellation, die Benetton durch ihren Eingriff deutlich machte, wenn man bedenkt, wie die Illustrierten das Nachrichtengeschehen in den letzten zehn Jahren vernachlässigt haben. Auf den Titelbildern wird permanent jenes saubere Bodydesign vorgeführt, das den Köpfen der redaktionellen Art-directors entspringt. Die skandalisierende Wirkung von Benetton wäre nicht so stark, zielte ihre Kampagne nicht auf ein Versäumnis.

Nun sagt die Generalklausel des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nicht, gegen wessen „gute Sitten“ Reklame nicht verstoßen darf. In diesem Fall hat die Werbewirtschaft für die Sitte Partei ergriffen und weitgehend recht bekommen. Das Argument, das Mitleid mit „der Kreatur“ nütze letztlich der „Geschäftstätigkeit“ Benettons, wirkt allerdings etwas veraltet, wo der Konzern gerade in der Folge des Konflikts Umsatzrückgänge verzeichnet und ein Streit mit den Ladenbesitzern um das Franchising-System entbrannt ist. Der Trick, die Nachrichtenfotos nur draußen, nie in den Läden zu zeigen, hat nicht gezogen.

Es geht um eine Werbung, die keine ist, so wie die Warnung des Bundesgesundheitsministers auf der Zigarettenreklame keine Werbung ist. Nimmt man den BGH ernst, dürfte Peter Stuyvesant kein Röntgenfoto eines Lungenkranken veröffentlichen, weil das Mitleid mit dem Kranken zum Umsatz beitrage. Man möchte meinen, daß der Gerichtshof von der vertrackten global conscientiousness der jungen Klientel, die Benetton meint, nichts verstanden hat. Es soll das Schöne beim Schönen bleiben und das Schreckliche beim Gewissen. Die Altertümlichkeit dieser Anschauung würde nicht weiter stören, hätte sie nicht bindende Wirkung.

Das vollständige Urteil soll erst in vier Wochen vorliegen, aber schon die erste Mitteilung birgt einen Widerspruch. Das Gericht mißversteht die „Stempelung“ des HIV-Positiven gezielt als Ausgrenzung. Wenn aber so ein Bild angeblich die Würde der Kranken mißachtet, kann es nicht gleichzeitig Mitleid erregen. Benetton müßte vom Verbraucher für die Verletzung der Würde des Kranken im Zuge der „Solidarisierung“ bestraft werden. Das Urteil aus Karlsruhe folgt einem sentimentalen Impuls. Es ist, wie Ironiker zu sagen pflegen, politisch korrekt. Ulf Erdmann Ziegler