Sittenjustiz stoppt Schockwerbung

■ Bundesgerichtshof verbietet Benetton die Werbung mit schwimmender Ente und HIV-Positivem / Pullover-Multi sieht Meinungsfreiheit in Gefahr und will vor das Bundesverfassungsgericht ziehen

Berlin (taz) – „Derartige Fotos sind ein Verstoß gegen das sittliche Empfinden der Allgemeinheit.“ Mit dieser Begründung der Justiz darf der Modekonzern Benetton nicht mehr mit Opfern werben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gestern die Verbote von drei umstrittenen Anzeigen des italienischen Bekleidungsherstellers bestätigt. Das Landgericht Frankfurt hatte 1994 auf Klage der Zentrale gegen unlauteren Wettbewerb drei Anzeigenkampagnen auf Plakaten und in Zeitschriften des Gruner+Jahr-Verlages (Hamburg) verboten. Bei Gericht kann man sich nicht erinnern, daß jemals zuvor in der Bundesrepublik eine Werbekampagne wegen „Sittenwidrigkeit“ verboten worden ist.

Es wurde unter anderem beanstandet, daß die Benetton-Fotos das Leid von Mensch und Tier in existentieller und bedrückender Not zeigten. Der Anblick sei geeignet, beim Betrachter Mitleid und Mitgefühl mit den Betroffenen auszulösen. Da jedoch kein sachlicher Bezug zwischen den Produkten und den abgebildeten Notsituationen bestünde, sei die Werbung „ausschließlich auf Schockwirkung ausgerichtet“.

Benetton hatte von Bildern einer im Ölteppich schwimmenden Ente, Kinderarbeit in der Dritten Welt sowie einem Oberarm mit dem Stempelaufdruck „H.I.V. positive“ Anzeigen und Reklamewände herstellen lassen. Nach Auffassung des Gerichts hat der Textilhersteller mit diesen Motiven heftige Gefühle des Mitleids bei den Verbrauchern erregt und in so „intensiver Weise“ zu kommerziellen Zwecken ausgenutzt, daß sich die Werbung als wettbewerbswidrig darstelle. Vor allem die Werbung mit dem Stempel „H.I.V. positive“ sei auch deshalb sittenwidrig, weil sie zugleich die Würde eines HIV-infizierten Menschen mißachte – ein Urteil, das allerdings von einigen Aidshilfe-Organisationen nicht geteilt wird.

Benetton sieht mit diesem Urteil das Recht auf freie Meinungsäußerung angegriffen. Die Firma kündigte gestern eine Revision vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht an. „Wenn das deutsche Gericht unsere Anzeigen für sittenwidrig hält, werden wir dieses Urteil respektieren. Aber wir sehen ein sehr komplexes Problem der Meinungsfreiheit, das hier berührt wird“, erklärte Laura Polini, die im italienischen Treviso für die Konzeption der Werbeplakate verantwortlich ist, der taz. „Wir haben für die Kampagne von verschiedenen Agenturen Fotos benutzt, die bereits in anderen Zeitschriften abgebildet worden waren. Offensichtlich gibt es hier verschiedene Bewertungen.“

Auf die Frage, warum es überhaupt zu Werbekampagnen mit Todes- und Elendsmotiven kommen konnte, antwortete Polini: „Wir wollen nicht über kleine Probleme sprechen, sondern über große soziale Themen. Uns geht es nicht darum, nur zu zeigen, wer das bessere Jackett trägt.“ Harald Fricke Tagesthema Seite 3