Nachschlag

■ Sandkastenspiele: Shakespeare auf indisch im HKW

... und noch ein Sommernachtstraum im Theatersommerloch. Allerdings nicht als gewöhnliche Inszenierung, sondern als interkulturelles Projekt wurde der Shakespeare-Klassiker jetzt zwei Abende im Haus der Kulturen der Welt präsentiert. Die unglückliche Hippolyta, Braut wider Willen, trägt einen Sari und beklagt ihr Schicksal entsprechend auf kannada. Auch die dumpfen Trommelschläge und schrägen Geigenklänge, die ihr trauriges Lied begleiten, sind nicht gerade very british. Christian Stückl, Regisseur der Münchner Kammerspiele, hat die sommerlichen Liebesverwirrungen in Südindien mit dem Nationaltheaterensemble aus Mysore einstudiert. Das deutsch-indische Projekt, das 1994 vom Goethe-Institut initiiert und mitfinanziert wurde, wird nach München und Berlin noch in Stuttgart und Salzburg gastieren.

Das Ensemble Nataka Karnataka Rangayana unternimmt nicht zum ersten Mal eine Expedition in fremde Theaterkultur. Diese Arbeit war allerdings auch für den passionsspielerprobten Regisseur eine Reise ins Unbekannte. Besonders der indische Sittenkodex, der keine Darstellung von Sexualität erlaubt, vertrug sich schlecht mit dem zotenreichen Klassiker. Offensichtlich ist es Stückl jedoch gelungen, die Schamgrenze der Schauspielertruppe weiter zu stecken. Endlich befreit von der gebotenen Keuschheit, die noch nicht mal einen Filmkuß zuläßt, agiert das Ensemble nun um so hemmungsloser. Mit geradezu kindlichem Überschwang, als hätten sie viel zu lange brav sein müssen, wälzen sich die Darsteller auf der sandbedeckten Bühne, ziehen sich an den Haaren, raufen, brüllen, heulen, necken und bespucken sich. Geküßt wird natürlich auch, aber noch lieber beweist Hermia ihrem Lysander ihre Zuneigung, indem sie ihn an der Nase zieht. Fordert er dann doch mal ein Küßchen, mogelt Hermia ihr Kuschelpüppchen zwischen Lippen und Wange. So ganz mögen die Inder westliche Liebesdarstellungen eben doch nicht imitieren. Wenn Titania es mit dem verzauberten Esel treibt, senkt sich diskret der rotgestreifte Riesenbaldachin über das ungleiche Paar. Für indische Theaterbesucher mögen allerdings schon die eindeutigen rhythmischen Eselsschreie starker Tobak sein.

Unsereins ist eher verblüfft angesichts der cholerischen Komik, mit der hier verführt und verlassen wird. Zwar ist die eigentliche Persiflage romantischer Liebe auch in dieser Inszenierung das von den Handwerkern einstudierte Stück im Stück „Pyramus und Thisbe“, aber auch die Paare Helena und Demetrius, Hermia und Lysander, Titania und Oberon sparen nicht mit wahnwitzigen Verrenkungen, die ihre Liebesbemühungen in einen grotesken Balztanz verwandeln. Nur Hippolyta hat nichts zu lachen. Bei ihrer Hochzeit mit dem ungeliebten Theseus verzieht sie keine Miene. Wie so viele indische Bräute, hat Hippolyta den Ehemann nicht selbst gewählt. Alle anderen vergnügen sich wie Bolle. Der indische Sommernachtstraum hätte selbst Shakespeare köstlich amüsiert. Anne Winter