Wand und Boden: Mädchen- und Männerakte sowie Bäume im Wind
■ Kunst in Berlin jetzt: Wladimir Kuprijanow, Rita Ostrovskaja, Bruce Nauman, Markthalle
Die schönste Arbeit von Wladimir Kuprijanow besteht aus drei in einer Art Glasbaustein versiegelten Farbfotografien. Sie zeigen grüne Militäruniformen und rote Flaggen und bedienen das Klischee eines schon altmodisch vergangenen Sowjetunionbildes. So zwingt Kuprijanow den BetrachterInnen ein kopfschüttelnden Grinsen geradezu auf, obwohl man doch weiß, daß diese heroische Soldatenpose an der Lafette noch immer einem gemeinen Krieg in Tschetschenien seine ideologischen Dienste leistet. Gerade weil Kuprijanows „Wehrübungen“ nicht mit dem Betroffenheitsgestus arbeiten, fühlt man sich bedrückt. Es scheint – erinnert man sich an die ifa-Ausstellung „Fotografien aus Minsk“ im letzten Jahr –, also ob niemand die Idylle so ins Trudeln bringen kann wie die (weiß-)russischen Vertreter konzeptioneller Fotokunst. In allen Arbeiten steckt das Fotoalbum, auch in Kuprijanows „Miniaturen“ in der Galerie Art 5. „Tiere“, „Porträts“ und „Häuser“ sind schwarzweiße Knipserfotos. Allerdings sind sie auf Glasscheiben abgezogen, die Kuprijanow exakt zwei- und dreifach hintereinanderblendet. Sie fangen an zu flirren und bekommen so auch für die fremden BetrachterInnen die Aura, die sie für den Albumbesitzer schon längst haben.
Bis 29.7., Di-Fr 15-19, Sa 11-14 Uhr, Motzstraße 9. Gleichzeitig zeigt das Haus am Waldsee „Photoarbeiten 1981-1995“ von Wladimir Kuprijanow. Bis 13.8., Di-So 10-18 Uhr, Argentinische Allee 30
Ganz anders arbeitet Rita Ostrovskaja aus Kiew. Sie wurde für ihre langjährigen Fotobeobachtungen des jüdischen Lebens in der Ukraine 1994 mit dem Albert- Renger-Patzsch-Preis zur Förderung europäischer Buchprojekte ausgezeichnet. Die Bilder, die sie in der Brotfabrik ausstellt, zeigen indes malerisch-ärmliche Interieurs, Frauen-, Mädchen- und Männerakte sowie Bäume im Wind. Der Charakter der sepiagetönten Fotografien ist durch eine lange Belichtungszeit bestimmt, die unscharfe Bildpartien zur Folge hat. Alles in allem lyrisch anmutende Kunstfotografien, deren klassischer Einschlag durch den fotojournalistischen Realismus der Serie versachlicht wird.
Bis 28.8., Mi-So 15-20 Uhr, Prenzlauer Promenade 3, Weissensee
Vielleicht liegt es daran: Ist man zunächst auf den (ästhetisch- formal gesehenen, politisch noch gar nicht erwogenen) Kitsch der Makellosigkeit von Gerhard Merz gestoßen, erscheint ein Stockwerk höher Bruce Naumans „Changing Light Corridor with Rooms“ von 1971 ausgesprochen unterhaltsam und wenig intellektuell bemüht. Down to earth, wie die Amerikaner eine vernünftige Haltung beschreiben. Der Korridor in den Kunst-Werken ist knapp 13 Meter lang und 80 Zentimeter breit. Zwei Räume, einer rechtwinklig, einer dreieckig, gehen von ihm ab. In ihnen leuchten Glühbirnen in einem autonomen Zeittakt auf und erlöschen dann. Im Korridor ergibt das interessante Schattenspiele und ratlose Dunkelheit. Und im Triangelraum fühlt man sich – wenig verwunderlich – ständig in die Ecke getrieben.
Ganz von selbst in die Ecke verdrücken sich dagegen die Besucher von Naumans Videoinstallation „Anthro/Socio (Rinde Spinning)“ im Studio II des Künstlerhauses Bethanien. Denn die Arbeit von der documenta IX, 1992, die die Hamburger Kunsthalle noch bis Sonntag nach Berlin ausgeliehen hat, rückt einem mit dem blanken Terror zu Leibe. „Help me, hurt me, Sociology“ schreit der Glatzkopf auf dem Monitor, und sein gekontertes, auf dem Kopf stehendes Ebenbild schreit dagegen: „Feed me, eat me, Anthropology“, oder anders herum. Die Schreie lassen sich eh kaum sortieren, denn die simple Gegenüberstellung ist in der Hardware dreifach potenziert. Diese Steigerung ist kaum auszuhalten. Trotzdem ist die Arbeit von 1992 nicht unbedingt stärker als die von 1971. Beide sind perfekt. Irgend jemand hat einmal gesagt, für einen Künstler wäre Nauman überqualifiziert.
Kunst-Werke, bis 10.8., Di-So 14-18 Uhr, Auguststraße 69; Bethanien, bis 9.7., Di-So 14-19 Uhr, Mariannenplatz 2
Viel gescholten: Die Verbindung von Kunst und Kommerz. Ein Ausstellungprojekt von Dagmar Mönch, Almut Müller, Katharina Reusch und Annette Thomas macht daraus lebendigen, kritischen Sinn. Als öffentlichen Ort der Kunst haben sie die Markthalle in Kreuzberg gefunden. Die ist schon an sich lebhaft, bunt und postmodern unübersichtlich: aber die Kunst hält bravourös dagegen. Almut Müller hat ihren Stand mit dem „Umweltsack“ gegenüber einer Cafébar. Sie fotografiert die dortigen Kaffeetrinker, fängt Gesprächsfetzen auf und druckt beides auf den üblichen Baumwollbeutel. Seine Optik verführt die türkischen Hausfrauen mit den Plastiktüten, aber der Preis von fünf Mark schreckt sie ab. Dennoch, die Kunst irritiert ihren Alltag. In metallenen Versorgungsrohren, die als „Hörrohre“ (Dagmar Mönch u.a.) aus dem Boden sprießen, blubbern ungekannte Töne, Musik, Gespräch, Geräusch. Polyphone Überlagerung praktiziert Mönch auch auf den Plakaten der Videothek, die sie mit sinnfällig anmutenden Reimen und Sätzen, Rosenmustern und anderer Grafik überdruckte. Man kommt ins Stolpern, was hier der Werbung zuzurechnen sei, was dem künstlerischen Mutwillen. Katharina Reusch hat in den jugendstiligen Oberfenstern 216 Farbfelder mit Satzfolgen versteckt, dazu machen acht zeitlos- internationale Uhren auf die ornamentale Eisenkonstruktion der Markthalle aufmerksam. Am auffälligsten ist sicher Annette Thomas' „Bildergalerie“ mit 36 Großfotos der Markthallen-Händler. August Sander und Stefan Moses (der weiße, teilweise verrutschte Stoffhintergrund) zitierend, hat ihre Arbeit den konzeptionellen Vorzug, daß die Abgebildeten der BetrachterIn höchstpersönlich in die Quere kommen.
Bis 12.8., Mo-Fr 7-18, Sa 7-13 Uhr, Markthalle, Eisenbahnstraße 42/43. Brigitte Werneburg
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