"Mein Körper flattert wie eine Maschine"

■ Drei Techno-Freaks aus Ost und West. Sie streiten im taz-Gespräch über Ekstase und Kommerz, Zukunftsangst und Drogen, Massenenergie und Schnullernostalgie. Am Ende steht die erstaunliche Erkenntnis

taz: Liebe Raver, ihr seid drei von 300.000, die heute nachmittag über dem Ku'damm ziehen – wie eine Schafherde, hinter stinkenden Lkws her. Was, bitte, ist daran so schön?

Andrea:Die Leute! Die Lebensfreude! Wir ziehen uns bunt an, wir haben Lust, zu feiern und zu tanzen.

Marcos: Die Love Parade ist unser höchster Feiertag. Sie ist für uns Raver das, was der Karneval für die Narren ist.

Eine klasse Kommerzveranstaltung für Sponsoren ist das – und die melken euch ab.

André: Mich abmelken? Ich bin doch keine Kuh. Der Markt hat sich eben so entwickelt. Was ist schlimm, wenn Leute wie WestBam heute das Geld einfahren? Er hat die Szene mit aufgebaut. Warum soll er nicht den Gewinn einstreichen?

Das sagt jemand, der in Leipzig Underground-Raves in Ruinen organisiert?

André: Na und? Im Techno- Underground gehört nicht jedem alles – wir haben nichts mit Anarchie am Hut. Wir wollen unsere Barfrauen bezahlen, die DJs sollen Geld kriegen für ihren Job.

Mit Verlaub: Ihr zockt ab wie andere auch.

André: Moment mal. Wir nehmen niedrige Preise, bei uns läuft keine Reklame, bei uns legen die DJ keine Platten von Groß-Labels auf.

Der Spiegel weiß, wer ihr seid: diejenigen, die bloß „das Bum- Bum-Tschaka-Tschaka der Maschinen brauchen“.

Andrea: Quatsch. Für mich ist Techno Befreiung durch Tanz. Wie dynamische Meditation. Ich verliere mich darin, ich verbinde mich mit der Musik, mit der tanzenden Masse. Für solche Gefühle brauchte ich vorher Drogen.

Das ist neu: drogenfrei durch Techno?

Andrea: Nein. Heute nehme ich die psychedelische Drogen wie Acid ganz bewußt: in homöopathischen Mengen. Ich verstärke so das Gefühl des Einswerdens mit der Musik, sehe Farben, schwebe dahin.

Flower-power, Sex and Drugs – das war doch in den Sechzigern, in den Siebzigern modern?

André: Also, ich stehe auf dem Standpunkt: Wem Techno nichts ohne Drogen gibt, der sollte es sein lassen. Die Musik allein ist die Droge. Chemie wie Ecstasy macht die Leute fertig. Die zucken ja noch im Takt, wenn wir die Musik- anlage schon längst abgebaut haben. Die sind am Tag danach wie ausgekotzt.

Andrea: Techno ist auch Flower-power und Drogen. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Spiritualität, lebe danach. Und ein Widerspruch ist das nicht. Techno hat eben seinen Spirit, die Elektronik hat Schwingungen, die wie Geigenklänge auf den Körper wirken.

Techno ist alles zwischen Ann- Sophie Mutter und Marschmusik?

Marcos: So kannst du das sehen. Aber es ist mehr: Ich nehme Vogelstimmen aus Deutschland auf, mische sie mit dem thailändischen Urwald, den Trommeln aus Bali. Das verbindet sich, umspannt alles. Das ist die Zukunft!

Und was dabei rauskommt, ist ein hektisches Hämmern.

Andrea: Das sind doch alles Bestandteile der Erde, diese Geräusche gibt es wirklich. Das ist Natur pur. Und das geht ins Unterbewußtsein, durch den ganzen Körper. Techno beschreibt das ganze Leben, alle möglichen Gefühle kommen vor: Erregung, Entspannung, alles, was ich jemals empfunden habe und empfinden kann. Das drücke ich mit meinem Tanz, mit meinem Körper aus.

Mal halblang: Du bewegst dich wie ein elektronischer Hampelmann, pardon, Hampelfrau.

Andrea: Ich kann alles ausdrücken. Weichheit, Schmerz, Trauer, Freude. Es kann mir passieren, daß nach Stunden Tanzen meine Kindheit hochkommt, daß ich meine Mutter sehe. Und plötzlich ist alles leicht, ganz leicht.

Schnullernostalgie im Rhythmus von 160 Beats?

Marcos: Warum denn nicht? Ihr wollt was erklärt haben, was ich selber nicht weiß.

Guru-DJ Sven Väth sagt: „Große Botschaften gibt es bei uns nicht. Uns reicht eine gute Zeit.“

Marcos: Die Zukunft ist das, was du daraus machst, verdammt! Ich kümmere mich nicht um das Morgen. Okay, es ist nicht einfach, mit dem Hier und Jetzt klarzukommen: Du mußt Brötchen verdienen, Autos verpesten die Luft

und ...

... was tust Du dagegen?

Andrea: Ich hab' mein Auto verkauft.

Marcos: Ich auch. Da kommen wir nochmal auf die politische Komponente der Love Parade. Sie heißt ja: gerechte Verteilung der Nahrungsmittel, Liebe untereinander. Das ist doch alles wunderbar. Und heute kommen bestimmt 300.000 Leute. Das kann eine Bewegung werden wie die Ostermärsche vor zehn Jahren. Es fängt aus einem Spaß heraus an, man zeigt seine narzistischen Triebe. Und irgendwann tanzen mal eine Million Leute auf dem Ku'damm, die sich alle unter einem politischen Motto versammeln, sich im realen Leben aber doch der Politik entziehen.

Ein bißchen wirr, was du da sagst.

Marcos: Wieso denn? Ich gehe nicht mehr wählen. Ich entsage mich. Ich tue das ganz bewußt: niemandem meine Stimme geben. Ich kenne nur Leute, die sich würgen und mühen, wenn es um Wahlen geht. Wenn dieser Rückzug mal eine Massenbewegung wird, dann wird daraus wieder eine politische Bewegung werden.

Das kann schon sein: Und DJ Marcos López dirigiert die Massen – eine Ästhetik wie beim Reichsparteitag.

Marcos: Das ist totaler Schwachsinn. Beim Techno gibt es keine faschistische Komponente!

Andrea: Ich sehe das einfach so: Am Anfang eines Raves schwinge ich mich ein, ganz langsam. Wenn das ein richtig kickender Sound ist, fängt auch mein Körper an wie eine Maschine zu flattern. Er fängt an zu vibrieren. Es kommt nicht darauf an, ob die Leute auf der Tanzfläche direkt miteinander kommunizieren. Ich gehe fast immer allein nach Hause. Ich mag das nicht, wenn mich einer im Ectasy- Rausch antatscht. Jeder ist mit sich eins, und im Moment der Ekstase entsteht eine Massenenergie.

Echt?

Marcos: Natürlich. Ein glückliches Gemeinschaftserlebnis durch die rituelle Einzelekstase. Im Tanz entdecken wir die Befreiung. Wir wollen nicht nett das Beinchen schwingen, wir gehen gnadenlos auf die Musik ein. Klamottenausführen und Balzen – das brauchen wir nicht.

Um Gotteswillen! Das klingt nach Sack und Asche – Leben wie ein Mönch.

Marcos: Jetzt sag ich euch mal was: Wenn wir uns mit einer Zeitmaschine nach Afrika beamen könnten, gut tausend Jahre zurück, dann würden wir sehen, wie Zulus drei Tage lang bei einer Hochzeit auf Baumstämmen kratzen. Wie jeder für sich stampft, stampft bis er in Trance ist, und das Tag und Nacht, Tag und Nacht, Tag und Nacht. Nichts anderes machen wir Technoten in unseren Tanztempeln – bis zur Trance. Wir sind die Zulus der Moderne.

Interview: Annette Rogalla

und Jeannette Goddar