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Toaster auf dem Kamelweg

An der pakistanisch-afghanischen Grenze blüht nicht nur der Schmuggel mit Elektrogeräten. Viele Kriegsopfer aus Kabul sind auf der Flucht, und die Mafia verdient daran.  ■ Von Almut Wieland

Der Weg zur Grenze ist steinig. Zerklüftete Berge und tiefe Flußtäler beherrschen die paschtunischen Stammesgebiete zwischen Pakistan und Afghanistan. Ein ideales Gebiet für Überfälle. Kein Wunder, daß am Wegesrand des Khyber-Passes Kalaschnikows wie Sauerbier zum Verkauf angeboten werden. Unser Fahrer Nadjibullah, ein aus Kabul stammender ehemaliger Medizinstudent, erzählt allerlei Geschichten über die eigenwilligen Regeln des Grenzorts Torcham. Dort herrschten drei Gesetze: einmal, im pakistanischen Teil Torchams, das offizielle, aber wenig beachtete bürgerliche Recht; dann das von den Einwohnern hochgeschätzte „Paschtunwali“, das Gewohnheitsrecht der hier lebenden Paschtunen; und schließlich die ungeschriebenen Gesetze einer durchorganisierten Schmugglerbande, die das eigentliche Sagen hat.

Im Grenzort Torcham angekommen, erleben wir sofort die Spielregeln der Schmuggler: auf einem schmalen Pfad, den die Leute „Kamelweg“ nennen, schwanken uns von afghanischer Seite vollbeladene Wüstenschiffe entgegen. Auf ihren Rücken festgeschnürt sind modernste Elektronikgeräte aus dem Westen und aus Japan, wie die Aufschriften auf den Kartons verraten. Oder aber Plünderbeute aus dem kriegsgeschüttelten Afghanistan. Alles, was sich in Pakistan zu Geld machen läßt, wird aus Afghanistan herausgebracht: Maschinen, Einzelteile zerlegter Häuser und sogar zersägte Strommasten, die als Eisenstücke verkauft werden.

Die Atmosphäre auf dem Schmugglerpfad ist hektisch und angsterfüllt, ein Kontrast zu der meditativen Ruhe der Berge. Eine Schar Menschen hastet aus Richtung Afghanistan auf die Grenze zu. Kinder und alte Frauen werden eilends von jungen Männern in Schubkarren befördert: Kriegsflüchtlinge. Die überdimensionale Ladung eines Kamels wirft ein Kind um. Es berappelt sich und läuft weiter. Keine Zeit für Tränen.

Auf dem Kamelweg regiert das ungeschriebene Gesetz einer geschäftstüchtigen Bande. Afghanen und Pakistani gehören ihr an, hierarchisch organisiert. Die Bosse haben die großen Geschäfte in der Hand und bleiben unsichtbar, die Untergebenen kontrollieren den Kamelweg. Alle scheinen sie zu kennen – und zu fürchten. Wir taufen die Bande „Kamelweg-Mafia“.

Dem Menschenstrom und den bepackten Kamelen entgegen laufen wir vom pakistanischen Teil Torchams zum Marktplatz auf der afghanischen Seite. Von hier aus führen zwei Wege in Richtung Pakistan: einer zum offiziellen Grenzübergang und eben der Kamelweg; die beiden liegen nicht einmal 200 Meter voneinander entfernt, und die Existenz des Kamelwegs ist ein offenes Geheimnis. Paradoxerweise versuchen die Flüchtlinge, die kein Geld haben, ihr Glück zunächst auf dem offiziellen Weg. Dort stoßen sie auf ein eisernes Tor, an dem sie manchmal tagelang ausharren müssen. Denn auf dem Kamelweg bezahlen sie pro Kopf zwischen 300 bis 500 pakistanische Rupien (etwa 15 bis 25 Mark) an die Kontrolleure der Kamelweg-Mafia. Ein afghanischer Lehrer in Peschawar verdient nicht mehr als 2.000 Rupien, 100 Mark, wenn er überhaupt Arbeit findet.

Auch Kleinunternehmer haben sich in Torcham angesiedelt. Sie vermieten Schubkarren inklusive Fahrer. Wer nicht schnell genug laufen kann, ist auf sie angewiesen. Zwar kassieren die offiziellen Grenzer auf der pakistanischen Seite Geld bei der Kamelweg-Mafia mit, doch sind sie in den Augen der Flüchtlinge unberechenbar. Alle haben Angst vor dem illegalen Grenzübertritt. Nadjibullah erzählt: „Die offiziellen Grenzer haben manchmal besonders schlechte Laune, oder ein Vorgesetzter aus Islamabad kommt zu Besuch. Dann halten sie die Augen nicht zu und die Hände auf.“ Erst vor einem Monat kam ein hochrangiger Beamter aus der pakistanischen Hauptstadt. Das Ergebnis seines Besuches können wir in einer Lagerhalle besichtigen. Er hat zum Glück keine Menschen erwischt, nur Hunderte von Bausätzen für modernste Klimaanlagen, „made in Japan“. Diese muten seltsam an in Anbetracht der Armut der Kriegsflüchtlinge und der primitiven Plünderbeute aus Kabul.

Aber wie kommen die Klimaanlagen überhaupt nach Torcham? Nadjibullah kennt den Weg genau: „Alle hochwertigen Güter landen zunächst in der pakistanischen Hafenstadt Karachi. Offiziell sind sie für den Import nach Afghanistan deklariert.“ Deshalb also lohnt sich das Geschäft: Die Schmuggler sparen die immensen Import- und Luxussteuern, die in Pakistan anfallen würden. Die Stadt Karachi erhebt zwar Hafengebühren und der pakistanische Staat Transitzölle, aber diese sind verschwindend gering, verglichen mit den Steuern, die für eine „direkte Einfuhr“ entrichtet werden müßten. Nadjibullah: „Die Güter werden dann den weiten Weg nach Torcham gebracht. Der pakistanische Zoll erhält Ausfuhrgebühren, und die Güter gelangen über die offizielle Grenze nach Afghanistan. Bis zum Marktplatz im afghanischen Teil Torchams. Dort werden sie umgeladen, denn der Kamelweg ist zu schmal für Lastwagen. Die Kartons und Kisten werden den geduldig wartenden Kamelen auf den Rücken geschnallt. Und dann geht es zurück über den ,anderen‘ Weg nach Pakistan. Dort warten schon wieder die Lastwagen. Sie fahren dieselbe Strecke zurück, die sie gekommen sind, bis zum Karchano-Market in Hayatabad, einem Stadtteil der pakistanischen Grenzstadt Peschawar.“ Hier werden die Güter auf dem freien Markt angeboten und bis in die entlegensten Winkel Pakistans verteilt. Ein riesiges Angebot zu Supersparpreisen, dank der „Steuerersparnis“.

Die afghanischen Flüchtlingsfamilien, die es via Kamelweg bis nach Peschawar geschafft haben, kommen auch auf den Schmugglermarkt. Gegen Quittungen holen sie sich ihre Habseligkeiten wieder, die sie auf dem Marktplatz in Torcham einem „Transportunternehmer“ anvertraut haben. Das hat die Kamelweg-Mafia eingeführt. Mit dem Flüchtlingsschicksal läßt sich ordentlich Geld verdienen. Nadja aus Kabul berichtet: „Für vier Matratzen und ein paar Decken und Kopfkissen, die wir aus den Trümmern retten konnten, haben wir 3.000 pakistanische Rupien in Torcham bezahlt. Wir waren sieben Personen ohne Pässe, das hat nochmal 2.500 Rupien gekostet.“ Gut, daß Nadjas Familie Verwandte in Deutschland hat, sonst hätten sie die umgerechnet knapp 300 Mark nicht aufbringen können.

Fünf Minuten Fußweg von dem Kamelpfad entfernt, bietet sich an dem offiziellen Grenzübergang ein vollkommen anderes Bild: Stacheldrahtzaun, ein verschlossenes Eisentor, hinter dem aufgebrachte afghanische Flüchtlinge auf Einlaß nach Pakistan warten. Warum denn das Tor am hellichten Tag geschlossen ist, fragen wir den pakistanischen Grenzer, der am freundlichsten dreinschaut. „Islamabad will, daß es geschlossen ist“, so seine kurze Antwort. Die pakistanische Regierung versucht, an der Grenze Macht zu demonstrieren. Manchmal bleibt der Übergang tagelang verschlossen. Wenn die offizielle Grenze mal geöffnet ist, haben die Grenzer Anweisung, nur diejenigen ins Land zu lassen, die einen Paß besitzen. Der Großteil der Afghanen hat nie einen Paß besessen – so weit war die afghanische Verwaltung noch nicht. Die Grenzer selber stammen alle aus anderen pakistanischen Provinzen. Sie fühlen sich hier wie auf einem Strafposten. Nur alle sechs Wochen bekommen sie Urlaub. Da reagieren sie ihren Frust schon mal mit dem Knüppel ab. Vor einer Woche hat ein Neugeborenes den Unmut abbekommen, erzählt uns Nadjibullah. Es starb auf der Stelle.

Auf der afghanischen Seite der Grenze ist weit und breit kein Grenzposten zu sehen. Premierminister Hekmatjar und Präsident Rabbani sind ausschließlich damit beschäftigt, sich gegenseitig zu beschießen: keine Zeit, um an die Grenze, geschweige denn die Zivilbevölkerung zu denken. Die Gesichter der Flüchtlinge, die es aus Kabul bis hierher geschafft haben, tragen die Spuren von Chaos, von Tod, Hunger, Obdachlosigkeit und Angst. Eine halbe Million Menschen hat die in Schutt und Asche gelegte Stadt seit dem Jahreswechsel 1993/94 und dem Wiederaufflammen der Kämpfe verlassen. 13.000 Menschen sind getötet, fast 100.000 verletzt worden, so die Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes.

Auf der Rückfahrt von Torcham erläutert Nadjibullah, daß nicht nur die afghanischen Flüchtlinge der Kamelweg-Mafia zum Opfer fallen, sondern daß sie auch wirtschaftlich großen Schaden anrichtet. „Die afghanische Wirtschaft ist sowieso kaputt“, sagt er. „Die Import- und Exportsteuer war schon immer sehr niedrig in Afghanistan. Weil die Regierung nun aber nicht funktioniert, kann auch keiner Steuern erheben. Vor allem leidet die pakistanische Wirtschaft unter der Kamelweg- Mafia, weil die Transitzölle gering sind, verglichen mit den Einnahmen, die die pakistanische Staatskasse an den Import- und Luxussteuern hätte. Für die Elektronikprodukte würde sie über 200 Prozent an Abgaben bekommen.“ Die pakistanische Industrie geht zugrunde, da einheimische Produkte nicht gekauft werden aufgrund der reichhaltigen Auswahl „Made in Japan“ und anderswo. Und die Schmuggler-Mafia, die die Nähe zu politisch-militärischen Führungszirkeln in den beiden Staaten pflegt, kassiert nicht nur in den Stammesgebieten. Das Geschäft mit der Elektronik ist ein Klacks gegen den internationalen Drogen- und Waffenhandel an anderen Grenzübergängen und auf dem Luftweg. Wie bemerkte noch der freundlichste unter den grimmigen Grenzern: „Dies ist ein freier Markt. Ihr Westler würdet das wahrscheinlich als Schmuggel bezeichnen.“

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