"Jetzt lassen Sie mal alles los"

■ Viel "Beruhigendes" auf der top '95 / Ein Bummel über das Düsseldorfer Messegelände mit seinen 450 AusstellerInnen / Von A(mnesty) bis Z(ölibatsbetroffene) - alles dabei

Düsseldorf (taz) – „Ohne eine gute Sekretärin ist Ihr Chef ein Nichts.“ Sibylle May sagt es, und 22 Frauen nicken zustimmend. Sie müssen es wissen, denn sie arbeiten alle als Sekretärinnen. Und da gilt es, „wirkungsvolle Chefentlastung“ zu leisten. Unter diesem Motto bietet die ehemalige Fremdsprachensekretärin May gleich zwei Seminare an. Üblicherweise sind ihre Fortbildungen für 1.000 Mark pro Wochenende zu haben. Auf der Düsseldorfer Frauenmesse kostet der ganztägige Kurs „nur“ 295 Mark. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) schickte prompt 18 seiner Angestellten. „Eine Sekretärin organisiert ihren Chef“, meint Sibylle May – ob sie nun seinen Terminkalender im Blick hat, seine Reisen plant, Besucher oder telefonische Anfragen abwimmelt: Chefentlastung ist gefragt. Und für den alltäglichen Dauerstreß des Chefs „sind Sie sein Beruhigungsmittel“, proklamiert May. „Genau!“ weiß eine Teilnehmerin zu berichten. „Egal, ob mein Chef mir zum x-ten Mal erzählt, wie toll sein Sohn ist, oder ob er gerade schlecht drauf ist, ich muß seine Stimmungen auffangen.“ Sibylle May ist ganz angetan von soviel Chefentlastung. Doch einige in der Runde schauen skeptisch. „Das ist ja Sozialarbeit! Dafür bin ich nicht da!“

„Die top '95 ist eine Ideen- und Handelsmesse, die alles anbietet, was Frauen auf dem Weg zum Erfolg unterstützt“, sagt Bundesfrauenministerin Claudia Nolte bei ihrer Eröffnungsrede. Nebenan, in der Halle, die für Politik, Initiativen und Alltag zuständig ist, wirbt gleichzeitig die „Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen“ für ein Zusammenleben mit Priestern. 400 Frauen haben sich da bundesweit zusammengeschlossen. Sie alle lieben einen Priester und streiten entschlossen für die Abschaffung des Zölibats. Selbstdarstellung ist auf der top gefragt. Rund 450 AusstellerInnen nehmen dieses Angebot wahr. Gegenüber der FDP tummelt sich der Deutsche Hausfrauenbund, die SPD-Frauen sind umringt von Menschenrechtsinitiativen wie terres des femmes oder amnesty, direkt neben den Grünen machen sich die „Starken Frauen vom Rhein“ breit, die Frauenämter aus Köln, Düsseldorf und Duisburg.

Zwischendurch sorgt Hermann Josef Graab für Entspannung. Ein Projektor wirft beruhigende Farbmuster an die Wand des Saals, und Graab meint: „So, jetzt lassen Sie mal alles los.“ Zehn Besucherinnen liegen auf dem Fußboden und lauschen auf ihren Atem. Im Hintergrund plätschert Musik aus der Konserve. Vorne sitzt der grobschlächtige Guru Graab im Schneidersitz und beobachtet die Szenerie. „Na, ist das nicht entspannend?“ Abrupt bricht die Musik ab und eine Stimme ertönt vom Band: „Das war eine Meditation zum Thema Wasser. Wir möchten Sie auch noch auf Relax hinweisen – eine Musikproduktion, die sich besonders beim autogenen Training eignet.“

Auch die Deutsche Bank betreibt frauenfreundliche Produktwerbung auf ihre Art: „Wir begleiten Sie auf dem Weg in die Selbständigkeit“, verspricht sie in großen Lettern. Mercedes-Benz, Telekom, VW oder Hoechst präsentieren in einer anderen Ecke der Halle, wie frauenfreundlich ihre Konzerne sind. Und am Stand des Bundesfrauenministeriums geht es um Mobilzeit: die flexible und mobile Zukunft für Frauen. Zwei Betriebsrätinnen aus Süddeutschland können da nur lachen. „Mensch, was haben wir vor sieben Jahren noch für Teilzeit gekämpft“, erinnert sich die eine. „Heute wird die einem nachgeschmissen. Aber die Teilzeitfrauen sind ja auch die ersten, die wieder rausfallen, wenn's ums Rationalisieren geht.“

In Halle 1 geht's um die künstlerische Arbeit. Hier präsentieren hundert Künstlerinnen ihre Werke – eine Frauenkunstausstellung im Messegewand. Moderne Gemälde, Lithographien, Aquarelle oder Objekte drängen sich in den kleinen Messeschachteln. Das Geschäft läuft schlecht, verkauft hat bis zum Nachmittag kaum eine etwas. Und das, obwohl sich gleich am ersten Messetag 5.200 Besucherinnen und wenige Besucher durch die drei Hallen der top wälzten.

Einer anderen Art von Ästhetik widmet sich Gisela Böhme. „Vorsprung durch Sympathie und Outfit“, heißt es bei ihr. Etwa 15 Frauen testen in diesem Seminar mit Hilfe von Farbtüchern und einem Spiegel, ob sie ein Sommer-, Winter- oder Herbsttyp sind. „All das hat mit dem Hauttyp zu tun“, erklärt Böhme. Ihr Credo: „Wir sind nicht alle Claudia Schiffer, aber wir können ihr Konkurrenz machen.“ Am Messestand der Avon-Beraterinnen gibt's denn auch prompt die kostenlose Hauttyp-Beratung mitsamt Kosmetiktips. In Halle 3 bietet ein Trio der interessierten Karrierefrau Profil- Beratung in Sachen Garderobe, Frisur und Farben.

In der „Spinnstube“ des Kongreßcenters vertiefen sich derweil sechs Frauen in die „Anwendung des Mondkalenders“. Seminarleiterin Gabriele Ramisch weiß: „Zwei Tage nach Neu- oder Vollmond ertragen Menschen Streß am besten.“ Außerdem sollte frau sich nur bei abnehmender Mondphase den Haushaltsarbeiten widmen. Dann gingen sie leicht von der Hand. Vor dem „Finanzdienst für Frauen“ stolziert den ganzen Tag über ein Putzmann in blauem Overall zackig mit einem Besen auf und ab. Seine Pantomime soll Besucherinnen zum Verweilen animieren. Doch kaum eine bleibt stehen. Vielleicht liegt's ja daran, daß der Mond gerade zunimmt. Karin Flothmann