Der liebe Gott hat's verteilt

■ Er stiftet Museen in Ost und West: Der Sammler Peter Ludwig wird morgen 70 Jahre alt, und Köln feiert

Während Aachen unter der teutonischen Headline „Ein deutscher Sammler – ein deutsches Auto“ den Schokoladen- Magnaten und Kunstsammler Peter Ludwig als VW-Käfer-Sammler vorstellt, ehrt die Stadt Köln ihren frischgebackenen Ehrenbürger zu dessen 70.Geburtstag am 9.Juli mit der nicht minder unbescheidenen Retrospektive „Unser Jahrhundert. Menschenbilder – Bilderwelten“ im nach ihm benannten Museum Ludwig. Aus den Ludwig-Stiftungen und Museen in Aachen und Wien, Koblenz und Budapest, Oberhausen, Basel und St. Petersburg wurde dafür an den Rhein gekarrt, was gut und teuer ist: Warhol und Picasso, Kiefer, Baselitz und und und ... In Köln soll damit noch einmal der Ratsbeschluß verteidigt werden, den teuren Museumsneubau neben dem Dom künftig allein Ludwig und seiner Kunst zu überlassen und dafür das renommierte Wallraf-Richartz-Museum mit seiner Sammlung von Kunst des Mittelalters bis zur klassischen Moderne zunächst auf die Straße zu setzen. Über den Standort für einen erneuten Neubau – neben dem Dom, am Gürzenich oder am Neumarkt – gerieten sich die Fraktionen im Kölner Stadtrat so heftig in die Haare, daß daran die kommunale rot-grüne Koalition zerbrach. Der Sammler plant derweil nach der Eröffnung des „Ludwig-Museums für westliche Kunst“ im Januar im Marmorpalais von St. Petersburg ähnliches für China.

taz: Für Oktober haben Sie eine Reise nach China geplant – die erste, oder waren Sie schon einmal dort?

Peter Ludwig: Das ist die Wiederholung und Fortsetzung meiner bisherigen Kontakte nach China. Ich will mehr lernen und mehr sehen.

Und diesmal auch etwas mitbringen?

Das glaube ich nicht. Ich möchte mich erst noch mehr beschäftigen mit Land und Leuten und Geschichte. Mich umsehen, orientieren, und wenn ich das noch ein bißchen weiter gemacht habe, dann kommt es hoffentlich zu einer Kooperation, das heißt: chinesische Kunst nach hier und westliche Kunst nach China.

Was reizt Sie gerade an China?

Ein Fünftel der Weltbevölkerung sind Chinesen. China ist das größte Land auf der Welt, das bevölkerungsreichste, mit der gewaltigsten wirtschaftlichen Entwicklung aller Länder überhaupt. Kein anderes Land hat über die letzten 20 Jahre eine so kontinuierliche und geradezu unglaubliche Entwicklung genommen. In keinem Land ist der Lebensstandard der Bevölkerung so rasch und so nachhaltig gestiegen. Die Chinesen haben seit dem 1. Mai die Fünftagewoche gesetzlich im ganzen Land. Es gibt natürlich keine Kinderarbeit, es gibt soziale Einrichtungen, Kindergärten für jedermann, stundenweise, tageweise, wochenweise – wie jeder will. Also, ich muß das deutlich sagen: Wenn ich diese verengte Menschenrechtsdiskussion auf Dissidenten höre und sehe, was China in Wirklichkeit für sein Fünftel der Weltbevölkerung getan hat – im Gesundheitswesen, im Erziehungswesen. Als Mao zur Regierung kam, waren fast 90 Prozent der Chinesen Analphabeten. Heute gibt es so gut wie keinen Chinesen mehr, der nicht lesen und schreiben kann. Das sollte man auch mal sehen. Für mich sind Menschenrechte sehr viel komplexer als die Äußerungen, die man machen kann oder nicht machen kann. China ist ein Entwicklungsland, und innerhalb der Entwicklungsländer der Welt nimmt es in der Wohlstandssteigerung der Bevölkerung absolut den Spitzenplatz ein.

Hatten Sie Kontakt zu Künstlern, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen?

Oh ja. Die chinesischen Künstler sind wie alle Intellektuellen natürlich hochsensibilisiert, und es gibt in China Künstler, die sich mit großer Kritik an den Verhältnissen nicht zurückhalten, die aber dennoch Chinesen sind und keine Gegner des Regimes. Das haben wir ja auch in Rußland und in der DDR erlebt, daß das, was wir als Dissidenten ansehen, durchaus auf dem Boden der jeweiligen Systeme steht. Auch die russischen Dissidenten sind nicht etwa Antikommunisten gewesen. Das sind Träume von uns, die denken gar nicht dran. Wenn Sie die Wahlen sehen: In allen ehemals kommunistischen Ländern – Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, Ukraine, Rußland – haben sie die alte kommunistische Führungscrew an die Spitze gebracht. Die haben sich geändert – Gott sei Lob und Dank. Heute herrscht wirkliche Meinungsäußerungsfreiheit in Ländern der ehemaligen Welt der Sowjetunion und der westlichen Nachbarn der Sowjetunion, die kommunistisch besetzt waren.

Wird es bald auch ein Ludwig- Museum in China geben?

Das geht mir zu weit in die Zukunft. Wie sagt man so schön: Man soll nie etwas ausschließen.

Wie bereiten Sie Ihre Reisen vor?

Zunächst einmal habe ich mich schon seit Jahrzehnten mit China beschäftigt. Wir haben eine Sammlung auch altchinesischer Kunst von meinem Schwiegervater übernommen. Meine Frau und ich haben uns immer für chinesische Literatur interessiert, für das, was man im Westen von China sehen konnte. Auf den Reisen nehmen wir uns nie mehr als zwei oder drei Orte der Regionen vor, um nicht vor lauter Eindrücken in deren Fülle zu versinken. Und dann gehen wir eben zu den Museen, zu Ausgrabungen, zu Geschichtsmonumenten und versuchen, obwohl wir – und das ist sehr bitter – natürlich kein Chinesisch können, via Dolmetscher dort mit Menschen aus der Kunstwelt, aus der Kulturszene zu sprechen. Wir haben uns aber auch wirtschaftlich interessiert, um einfach zu sehen, wie dort die Lage ist, wie heute eine Fabrik in China von innen aussieht, um einen breiten Eindruck von den Verhältnissen zu bekommen. Und wenn wir uns ein intensiveres Bild gemacht haben, dann ist der Augenblick da, uns mehr mit der Kunst zu beschäftigen. Ich möchte gern auch an Ort und Stelle sehen. In Rußland habe ich das genauso gemacht. Ich war vielleicht fünfzigmal seit 1979 in der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten, um etwas darüber zu lernen, wie die Verhältnisse wirklich sind.

Sehen Sie danach eine realistische Chance, in der Frage der Beutekunst zu einer Einigung zu kommen?

Wenn seriöse Verhandlungen beginnen, sehe ich eine solche Chance. Mit Drohgebärden und einfachen Forderungen wird uns das nicht gelingen. Hier handelt es sich um einen komplexen Vorgang. Ich habe bei meinen Gesprächen mit drei aufeinanderfolgenden russischen Kulturministern immer wieder gesagt, daß die Rückgabefrage für mich eine offene Wunde ist, die geschlossen werden muß. Aber ich sage auch, daß es das einzige ist, was Rußland noch vom Sieg über Deutschland besitzt, denn alle Gebiete außer Königsberg sind längst weg. Um so mehr klammert sich die Bevölkerung an die Kunst und sagt: Das ist nun das, was uns noch geblieben ist. Man muß darüber verhandeln. Es gibt sehr viele Russen, die auch für die Rückgabe sind. Und wir dürfen nie vergessen, daß unsere ganze Kenntnis vom Diebstahl aus russischen Quellen stammt, während wir selbst angenommen hatten, sie seien in den letzten Kriegswochen verbrannt oder untergegangen. Wir hatten eigentlich gar keine Vorstellung mehr, was Rußland hat, und man sollte fairerweise auch sagen, daß russische Bürger den Finger gehoben und gesagt haben: Das gehört uns nicht, das muß zurück.

Sitzen für solche Verhandlungen Ihrer Meinung nach zur Zeit die richtigen Partner am Tisch?

Der einzige Weg wäre, im allerkleinsten Kreis Persönlichkeiten, und zwar ganz wenige, die jeweils im anderen Land Ansehen besitzen, zusammenzusetzen, damit sie sich überlegen, welche Lösungen gefunden werden können. In großen Kommissionen ist so etwas nicht zu schaffen.

Mit Ihren Aktivitäten werden Sie für Deutschland – wenn nicht gleich für Europa – das Bild von zeitgenössischer Kunst aus China prägen. Besteht da nicht die Gefahr eines sehr subjektiven Bildes?

Daß ein einzelner das Bild prägen kann, ist gar nicht möglich, weil dafür auch die Irrtumsquote eines einzelnen viel zu groß ist. Sie müssen sich mal die ganze Europäische Union vorstellen, dann Europa bis zum Ural, die ganzen USA, Kanada, Mexiko, deren Freihandelszonen – dann sind Sie immer noch bei weitem nicht bei 1,2 Milliarden Einwohnern. Wir reden hier mit einem Giganten, der so unglaublich ist und der nun wirklich eines der ältesten Kulturvölker der Menschheit repräsentiert – das zeigt ja gerade wieder die Ausstellung in der Villa Hügel in Essen. Und das Land hat alle Bodenschätze, die der liebe Gott auf dieser Erde je hat verteilen können: von Kohle bis Mangan. Die Chinesen sind also ein erheblicher Partner, fühlen sich selbst als Reich der Mitte. Deshalb sollte man doch mit Takt und Vernunft an die Dinge herangehen.

Hatten Sie nie Lust, bei Christie's oder Sotheby's einfach mal einen Van Gogh oder einen tollen Modigliani zu kaufen?

Die Sammlung Ludwig ist nicht eine Sammlung, die Schätze anhäuft. Es gibt viele Sammler auf der Welt, die über sehr viel mehr materielle Mittel verfügen als das Ehepaar Ludwig. Wir sind Sammler von wichtigen Kunstbewegungen, die außerhalb des breiten Stromes sind. Wir wollen mit unseren Sammlungen Informationslücken schließen. Wir haben zum Beispiel präkolumbische Kunst [amerikanische Kunst vor Kolumbus; d.R.] in den 60er Jahren gekauft und an das Völkerkundemuseum in Köln gegeben, wo diese Kulturen überhaupt nicht präsent waren. Wir haben den späten Picasso gekauft, als ihn keiner wollte, und den frühen auch, als er noch gar kein wichtiger Künstler war. Jetzt sieht man das alles ganz anders.

Sie bekennen sich dazu, mit Ihren Sammlungen auch Kulturpolitik zu machen. In Köln ist das gerade gelungen: Die rot-grüne Koalition ist durch den Streit über den Standort für ein neues Wallraf-Richartz-Museum zerbrochen, nachdem Sie künftig das gesamte Ludwig-Museum für Ihre Sammlungen beanspruchen. Haben Sie einen Standort-Vorschlag?

Nein, ich bin sicher, daß der Neubau kommt. Ich finde es erfreulich, daß sich eine Stadt um den Museumsstandort so lange und intensiv streitet. Das zeigt die Lebendigkeit der Stadt und auch, wie die Museen der Öffentlichkeit am Herzen liegen. Denn interessant an der Diskussion ist ja, daß niemand sagt: Wir wollen kein Museum, es geht nur darum, wo. Das ist doch eigentlich ein Zeichen demokratischer Einstellung der Bevölkerung und auch des Stadtrates. Interview: Stefan Koldehoff