Das Lachen der Verliererin

Eine überraschend vom Nervenbündel zum Lachsack mutierte Jana Novotna verliert trotzdem das Halbfinale von Wimbledon gegen eine heimlich schreiende Steffi Graf  ■ Aus Wimbledon Matti Lieske

Die Herzogin von Kent war – im Gegensatz zu ihrem pflichtvergessenen Gatten (siehe untenstehenden Press-Schlag) – vorsichtshalber gar nicht erst erschienen. Sie fürchtete offenbar, wieder als wandelnde Klagemauer mißbraucht zu werden, so wie vor zwei Jahren, als Jana Novotna im dritten Satz des Finales gegen Steffi Graf einen 4:1-Vorsprung verspielte und hinterher Trost in den erstbesten, zufällig herzöglichen Armen suchte. Eine Wiederholung des Dramas schien ohne weiteres möglich, hatte die Tschechin doch gerade bei den French Open erneut ihre Nervenschwäche unter Beweis gestellt, als sie gegen die US-Amerikanerin Chanda Rubin im dritten Satz mit 5:0 und 40:0 führte, insgesamt neun Matchbälle vergab und das Match tatsächlich noch verlor.

Im Halbfinale von Wimbledon kam diesmal jedoch alles anders. Zwar unterlag Jana Novotna erneut gegen Steffi Graf, obwohl sie das Match über weite Strecken dominierte, aber von Zerknirschung und Trübsal keine Spur. „Es war ein wunderbares Match“, sprudelte es aus ihr heraus, „ich habe jede Minute davon genossen.“ Nervös sei sie kein bißchen gewesen, nicht die mindeste Spur von den Schatten der Vergangenheit: „Ich habe mich an nichts erinnert.“ Nach völlig mißratener Sandplatzsaison war Wimbledon für die 26jährige ein reines Freudenfest. Schon in den Runden zuvor hatte sie von allen Spielerinnen eindeutig die beste Laune, die ihr auch im Halbfinale nicht verging. „Ich weiß nicht, ob man es gesehen hat“, sagte sie, „aber ich habe das ganze Match hindurch gelacht.“

Steffi Graf fand die Angelegenheit weniger lustig, besonders nachdem sie den ersten Satz mit 5:7 verloren hatte, erst ihr dritter Satzverlust in diesem Jahr. Während Jana Novotna tatsächlich mit diebischer Freude vor sich hinkicherte, wenn ihr ein spektakulärer Netzangriff oder Passierschlag gelungen war, setzte die Weltranglistenerste die düsterste Leichenbittermiene auf, die ihr zur Verfügung steht, und wirkte vollkommen desperat. „Ich muß zugeben“, gab sie später zu, „daß ich gedacht habe, ich verliere das Match.“ Gegen die angriffsfreudige Novotna sei es sehr schwer, seinen Rhythmus zu finden, besonders wenn man, so wie sie, nicht gut aufschlage.

Steffi Graf spielte längst nicht so sicher wie in ihrem glanzvollen Viertelfinale gegen Mary Joe Fernandez, bei beiden Spielerinnen wechselten sich in schneller Folge hervorragende Aktionen mit haarsträubenden Fehlern ab. Dies vor allem in der entscheidenden Phase Mitte des zweiten Satzes, als Jana Novotna manch brillant herausgespielten und ausgiebig belachten Punkt durch einen fahrigen Return wieder zunichte machte. Sowohl im fünften als auch im siebten Spiel konnte sie gegen ihre am Rande der Verzweiflung befindliche Gegnerin diverse Breakchancen nicht nutzen und verlor beim Stande von 3:4 prompt ihren eigenen Aufschlag. Von diesem Zeitpunkt an schlugen beide Spielerinnen so miserabel auf, daß gewonnene Service-Spiele absoluten Seltenheitswert hatten. Steffi Graf merkte, daß sie „weiter drinhängen“ konnte und holte sich den Satz mit 6:4. Ein Break jagte nun das andere, die endgültige Entscheidung fiel beim Stand von 4:2, als ein langer Ball von Steffi Graf, der Novotna auf 4:3 herangebracht hätte und den diese schon im Aus wähnte, genau auf die Ecke des Feldes prallte. Graf gewann ihr Aufschlagspiel und danach das der Tschechin zum 6:2.

„Extrem glücklich“ war sie hinterher, dieses enge Match „offensichtlich gewonnen“ zu haben, und sie machte ihrer Freude sogar mit einem gewaltigen Schrei Luft. Behauptet sie zumindest, denn der historische Gefühlsausbruch fand erst im Gang zur Kabine statt.

So viel Rücksichtnahme auf die Gehörgänge der Centre Court-Besucher kennt die Spanierin Arantxa Sanchez-Vicario nicht. Ihr schriller Siegesschrei kam gleich nachdem sie ihre Landsfrau, die von Blasen an den Füßen geplagte Titelverteidigerin Conchita Martinez, mit 6:3, 6:7, 6:1 in die Knie gezwungen hatte.

„Ich habe nicht genug daran geglaubt, daß ich gewinnen kann“, sagte Martinez anschließend, „und wenn du nicht hundertprozentig an dich glaubst, gewinnst du nicht.“ So ähnlich sieht es auch Sanchez- Vicario, die ihre „veränderte Einstellung“ zu Wimbledon als wesentlichen Faktor dafür ansieht, daß sie als ausgeprägte Grundlinienspielerin erstmals ein Finale auf dem schnellen Rasen erreichte. „Gegen eine gute Serve-and-Volley-Spielerin verliert sie immer“, sagt Martinez zwar, da Steffi Graf dies aber mitnichten ist, sieht sie das heutige Endspiel als „völlig offen“ an.

„Ich fühle mich keineswegs als absolute Favoritin“, sagt auch Graf selber, die vor dem Match unbedingt noch ein wenig Aufschlag üben will. Das postulierte Rezept beider Finalteilnehmerinnen ist exakt dasselbe: Aggressiv spielen, möglichst oft angreifen. Gerade letzteres fiel in der Vergangenheit vor allem der Spanierin schwer, die, wie Graf den Freudenschrei, am liebsten den Händedruck nach dem Match in den Kabinengang verschoben hätte, damit sie nicht zu nah ans Netz muß.

Doch auch hier, so sagt sie, habe sich ihre Einstellung geändert. „Ich bin die Nummer eins der Doppelweltrangliste“, betont sie, „ich weiß genau, wie man am Netz spielt.“