Wer martert an der Burg?

■ ...und andere Fragen zu Bremens merkwürdigen Straßennamen/ taz startet neue Serie „On the road – Geschichte in Straßennamen“

Keine Straße ohne Namen, kein Haus ohne Nummer, keine noch so entlegene Ecke in Stadt und Land, die sich den Willen der Planer und Kartographen entziehen könnte. Moderne Zeiten. Siehe Mannheim. Wenig poetisch sind nun mal Adressen wie diese: J4, 23 oder D4, 18! Bremen kann da gottseidank nicht mithalten und bietet einen reichen Fundus an Straßennamen, die dem geneigten Flaneur lustvolle Rätsel aufgeben. Marterburg, Tiefer, Walfischhof, Am Schwarzen Meer: Assoziationen werden wach, wo Bahnhofstraße, Eisenbahnstraße und Marktplatz bloß ein müdes Gähnen hervorlocken.

Wer sich auf die Spuren der Straßennamen begibt, der reist zurück in eine Zeit, als man in die Stadt nur durch die Pforte kam, Katholiken noch kein Bürgerrecht hatten, Tranfunzeln düstere Gassen notdürftig erhellten und man sich am Herdentorsteinweg auf regelmäßigen Viehtrieb verlassen konnte. Der ellenlange, instanzenreiche Dienstweg, den es heute einzuhalten gilt, nachdem ein Bebauungsplan verabschiedet ist und ein Straßenname gesucht wird – Amt für Straßen- und Brückenbau, Ortsamt, Staatsarchiv und zurück –, blieb den mittelalterlichen Stadtbewohnern noch erspart. Da hieß es schlicht: Nomen est omen, wenn es darum ging, einen Ort zu benennen. Die Namen bezeichneten genau die Orte der Zunft- und Handwerkskultur, beschrieben die Topographie und das urbane Ambiente. Selbst Fremde fanden so gleich die richtige Adresse: Knochenhauerstraße, Reeperbahn, Bleicherstraße.

Wer sein Tier zum Metzger bringen wollte, wußte, wohin er gehen muß. Die Reeder wiederum ließen ihre Schiffe von den Reepschlägern (heute: Seiler) ausrüsten, die sich strategisch günstig vor dem Stephanitor angesiedelt hatten. Ergo: Reeperbahn.

So läßt sich heute noch erahnen, was z.B. in der Bleicherstr. los war. Dort hatte sich die Bleicher-Gilde ihre Ecke gesucht, um Leinen aus dem Westfälischen zu veredeln, nach Spanien zu exportieren und guten Wein dafür zu bekommen. Vor den Toren der Stadt allerdings, denn mit den Dämpfen und Abwässern, die allein bei diesem Handwerk anfielen, wollten die Bürger im Stadtring nichts wissen.

Die guten Adressen lagen innerhalb der wehrhaften und bewehrten Altstadt – wie in allen neugegründeten Städten. Vorstadtbürger genossen zudem keine vollen Bürgerrechte. Die Goldschmiede-Zunft etwa verbot ihren Mitgliedern, in der Vorstadt zu wohnen, Ärzte sucht man hier vergebens, wie eine Schrift des Staatsarchivs verzeichnet. Wohnen in der Peripherie hatte schon vor Jahrhunderten keinen guten Klang.

In den alten Straßennamen lassen sich die längst verwaschenen Grenzen zwischen Alt- und Vorstadt nachzeichnen. Türme, Palisaden, Bollwerke drückten den Wegen ihren Namensstempel auf. Dienten im toskanischen San Gimignano die vielen, noch erhaltenen Türme Patrizierfamilien als Wohnung, übernahmen sie hierzulande nur strategische Funktionen: Ausguck nach dem Feind. Augenfälligste Rudimente der einstigen Stadtmauern und Wehranlagen: die Torsperren, etwa das Ostertor. Das Tor ist längst verschwunden, allein die beiden Wachhäuser erinnern an den einstigen Sinn des Ostertorsteinwegs.

Hausnummern allerdings waren damals noch kein Thema. Das änderte sich erst, als Napoleon 1810 sich Bremen einverleibte. Noch nicht einmal in der Großstadt Berlin wurde durchgezählt. Wie sagte Max Liebermann, ansässig am Pariser Platz, wie man ihn dort finden könne: ,Wenn Se nach Berlin reinkommen, gleich links!' Gezählt wurde zuvor in Bremen, wie es sich heute noch an den doppelten Hausnummern in Prag oder Venedig ablesen läßt: in der Reihenfolge, in der die Häuser entstanden sind.

Die rasante Bevölkerungsentwicklung zur Industrialisierung fegte Stadtmauern, Torsperren und all das hinweg, was der Entwicklung des Handels im Wege stand. Zurück bleiben Straßennamen, Hunderte von Schildern, stumme Zeugen eines vergangenen,ganz anders pulsierenden Stadtorganismus. Einige davon will die taz ab heute wieder zum Sprechen bringen. Alexander Musik