Tanz' den Dinosaurier

■ Die freie Szene besetzte erstmals flächendeckend das alte "Concordia": Tanzexperimente mit "Instant Acts" als programmatischer Auftakt am Wochenende

Den Schlagzeuger hält es nicht mehr hinter seinen Instrumenten. Er tänzelt barfuß um Becken und Trommeln. Läuft am Bühnenrand mit seinen Rhythmusinstrumenten auf und ab. Schwitzt. Macht Geräusche, die bisweilen an scheppernde Dosen und den Anlasser eines Mofas erinnern. Schiebt schließlich seine Trommel mitten auf die kahle Bühne und läßt die Tanzenden wie Marionetten nach seinen Tönen zucken. Heiner Claus, von afrikanischen Rhythmen und Free Jazz inspirierter Schlagwerker, war der eigentliche Star, als die Bremer Gruppe „Instant acts“ am Freitag mit Improvisationen aus Tanz, Musik und Licht die Concordia-Bühne bespielte. Ein historischer Abend: Nach zweijährigem Kampf zog hier die erste freie Theatergruppe ins Musterhaus des Stadttheaters ein. Das ganze Wochenende über folgten andere Tanz- und Theatergruppen, um die Bandbreite der freien Szene auf der Bühne zu zeigen.

Das Versprechen auf ein „anderes“ Tanztheater wurde vom Start weg eingelöst. Wo bisher vor allem Kresniks Compagnie nach Vorschrift polterte, war nun kompromißlose Improvisation angesagt. Keine eingefahrenen Gleise, kein Wiederkäuen, kein etabliertes Ensemble, kein Abend wie der andere. „Instant acts“: Das waren diesmal vier freie TänzerInnen, drei Jazzmusiker und ein Lichtdesigner, die ihrem Namen alle Ehre machten.

Die wechselnde Besetzung der Bremer Truppe ist seit Gründung 1994 durch Rolf Hammes und Birgit Freitag Programm. TänzerInnen und Musiker standen in dieser Nacht erstmals gemeinsam auf der Bühne. Requisiten und Kostüme fehlten. Geschichten im Sinne von Kresnik suchten ZuschauerInnen vergeblich. Einzig ein Neun-Punkte-Plan legte Grundstrukturen fest, etwa wer wann auf der Bühne tanzte. Der Rest war Überraschung für Ensemble und Publikum.

Eine gute Stunde lang präsentierten „Instant acts“, die bisher nur im Bremer Kontorhaus in der Schildstraße zu sehen waren, einen in rascher Folge aneinandergereihten Mix aus Improvisationen. Daß bei soviel Experimentierfreude und Spontaneiät nicht der gesamte Abend gelungen und spannend sein konnte, war der Preis für das andere Tanztheater, in dem sich Musiker, Beleuchter und TänzerInnen ungewohnt gleichberechtigt ergänzten.

Gerade bei dem Pas de deux von Birgit Feitag und Janine Jaeggi fehlten schon mal Koordination und Konsequenz. Fast schienen die ungleichen Partnerinnen aneinander vorbeizutanzen. Statt einander sensibel zu antworten, wirkten Bewegungen und Gebärden der beiden Frauen unabhängig, bisweilen chaotisch nebeneinander gesetzt.

Anders Matthias Früh und Helge Löschmann, die sich in gekonnter Harmonie ergänzten. Mit kraftvollem Bewegungsrepertoire, das sich an Vorbilder wie den amerikanischen Improvisationsmeister Steve Paxton orientierte, tanzten die beiden alle Nuancen zwischen Umarmung und Trennung. Schritt für Schritt aufeinander zugehend, sich ergreifend, kreisend, um erneut auseinanderzudriften, ohne dabei Horst Mühlbergers auf die Bühne gesetzten Lichtkranz zu verlassen. Eingespannt in die musikalischen Gespräche zwischen elektronischem Piano (Sebastian Venas), Baß und Schlagzeug haben die Instant-act-Tänzer an diesem Abend menschliche Beziehungen beziehungsreich inszeniert.

Inmitten der ernsthaften Kurzimprovisationen wirkte die fantasievoll erdachte Episode um eine zum Leben erweckte Intrumententasche befreiend leichtfüßig. Zu Rainhard Hammerschmidts Kontrabaß-Solo tat sich Skurriles auf der Bühne. Janine Jaeggi war ins Futteral des bauchigen Instruments geschlüpft, um zum Monolog des Streichers ganz allmählich in Bewegung zu geraten. Kauernd, taumelnd, schließlich tänzelnd verwandelte sich das rehbraune Riesenetui in Schnecke, Kamel und Dinosaurier, bevor die eigentliche Entpuppung begann. Die Tanzfans waren begeistert.

Die Eroberung der staatlichen Concordia-Bühne durch die freie Szene beobachteten die ZuschauerInnen wohlwollend. Wenig etabliertes Volk hatte sich beim Start der kleinen Leistungsschau eingefunden. Daß sich die neun Spontanen von „Instant acts“ im ausverkauften Concordia uneins waren, wie sie sich beim langen Schlußapplaus verbeugen sollten, paßte zum Abend. Sabine Komm