Ein Mord sollte den Friedensprozeß stoppen

Für die Tschetschenen ist die Ermordung einer Familie in Grosny ein gezielter Akt russischer Militärs  ■ Von K. H. Donath

Moskau (taz) – „Wir bewegen uns auf den Frieden zu“, meinte Rußlands Chefunterhändler Wjatscheslaw Michailow hoffnungsvoll zu Beginn der Friedensverhandlungen am Wochenende in Grosny. Der frisch designierte russische Nationalitätenminister gab sich höchst zuversichtlich. Selbst eine Übereinkunft, die Neuwahlen für den November vorsieht, hielt er nicht mehr für ausgeschlossen. Seine anschließende Bemerkung, Hauptsache sei, das „tschetschenische Volk kann darüber selbst entscheiden, wer auf seinem Territorium präsent ist“, dürfte allerdings in Moskau Stirnrunzeln hervorrufen. Denn bisher rückte Präsident Jelzin nicht von seinem Dekret ab, das zu Wochenbeginn eine Dislozierung russischer Einheiten in der Kaukasusrepublik festschrieb. Der Erlaß drohte zunächst, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Jelzin schwächte später seine Entscheidung ein wenig ab, indem er Verteidigungsminister Pawel Gratschow beauftragte, einen Plan zu entwerfen, der „die Ergebnisse der Krisenbeilegung in der tschetschenischen Republik und die Anweisungen des russischen Präsidenten“ berücksichtigt.

Mitunterhändler Arkadi Wolski sah die Dinge am Sonntag schon etwas nüchterner als Michailow. Obwohl sich beide Seiten erneut zu Gesprächen trafen und den verfassungsmäßigen Status Tschetscheniens angehen wollten, gestand Wolski ein: die Positionen seien weit voneinander entfernt. Nach wie vor bestehen die Tschetschenen auf der 1991 verkündeten Unabhängigkeit ihrer Republik. Die russische Seite könne den tschetschenischen Vorschlag nicht akzeptieren, soll er gesagt haben. Der Status der Republik ließe sich erst nach den Wahlen, „die die Stimmung im Lande wiedergeben“, bestimmen. Ebenso umstritten bleibt das Schicksal des tschetschenischen Präsidenten Dudajew. Der Vizechef der von Moskau eingesetzten Verwaltung Tschetscheniens sagte, man hätte sich immerhin darauf geeinigt, vor den Wahlen neue Leute in die Verwaltung zu berufen.

Am Freitag waren die Verhandlungen zunächst ausgesetzt worden, nachdem in einem Vorort im Norden Grosnys eine tschetschenische Familie ermordet worden war. Nach Augenzeugenberichten drangen Männer in russischen Tarnanzügen in die Wohnung ein und erschossen eine siebenköpfige Familie. An der Beisetzung der Opfer nahmen am Sonnabend auch Vertreter der russischen Delegation teil. Der tschetschenische Verhandlungsleiter Usman Imajew, der keine Zweifel daran zu hegen scheint, daß es sich um einen gezielten Akt russischer Militärs handele, forderte Moskau auf, die Täter dingfest zu machen, ansonsten wolle er die Verhandlungen abbrechen. Er kehrte dennoch an den Verhandlungstisch zurück.

Dagegen ließ Jelzin durch einen Sprecher verlautbaren: „Ich schließe nicht aus, daß die blutige Tragödie in Grosnys Vorort ein geplanter terroristischer Akt war, der darauf abzielt, die Friedensgespräche abzubrechen und antirussische Emotionen zu schüren.“

Die Moskauer Hardliner haben wenig Interesse an einer Beilegung des Konflikts. Sie brauchen dringend einen Sieg, um ihre militärische Blamage zu übertünchen. Nach wie vor haben sie die Bastionen der Rebellen in Bamut und Dargo nicht schleifen können.