Dongtings Rache an Mao

Schon über 1.000 Tote bei Überschwemmungen im Südosten Chinas – und die Regenzeit dauert noch bis zum August  ■ Von Eva Sternfeld

Schwere Überschwemmungen haben in Süd- und Mittelchina seit Ende Mai bereits 1.200 Todesopfer gefordert. Am schwersten betroffen ist in diesem Jahr die zentralchinesische Provinz Hunan, wo nach amtlichen Angaben bis Anfang letzter Woche 500 Menschen in den Fluten umkamen und 380.000 Häuser zerstört wurden.

Die chinesischen Behörden befürchten, daß es noch schlimmer kommt. Bis zum Ende der sommerlichen Regenzeit im August könnte der vom hochwasserführenden Yangzi-Fluß gespeiste Dongting-See im Norden der Provinz den Rekordpegelstand von 1954 übertreffen. Damals waren bei der schlimmsten Überschwemmung des Yangzi in diesem Jahrhundert 33.000 Menschen ums Leben gekommen.

Seit jeher leben die Menschen in der Region mit dem unregelmäßigen Zyklus des Monsuns und den Naturkatastrophen, die er bringt. Ziehen im Frühsommer die Monsunwinde zu früh und zu schnell nach Norden, kommt es zu Trokkenheit im normalerweise feuchten Südchina. Hindern dagegen, wie in diesem Jahr, kalte Luftströme aus Sibirien den feuchtwarmen Südostmonsun am Weiterziehen, ist in Nordchina Dürre angesagt, während es in der Yangzi-Region zu ungeheuren Regenfällen kommt. So auch im Juni 1991, als im dichtbesiedelten Mittelchina innerhalb eines Monats 1.000 Millimeter Regen niedergingen und fast 200 Millionen Menschen direkt von den Auswirkungen betroffen waren. Ähnlich hoch war die Schadensbilanz der Überschwemmungen des vergangenen Jahres, als 1.400 Tote, 85 Millionen Geschädigte und Sachschäden in Höhe von sechs Milliarden US- Dollar zu beklagen waren.

Nicht nur die Unbilden des Monsuns, auch rabiate Eingriffe in die Ökologie haben die Naturkatastrophen mitverschuldet. „Getreide in der Mitte von Seen und auf den Gipfeln von Bergen anbauen“, hatte Mao Zedong in den siebziger Jahren als Devise der Agrarpolitik ausgeben lassen. In der Folge wurden unzählige Seen in Ackerland umgewandelt und Berghänge terrassiert. Der erwähnte Dongting-See im Norden Hunans – einst mit einer Fläche von 4.350 Quadratkilometern Chinas zweitgrößter Binnensee – büßte im Rahmen der Kampagne gut ein Drittel seiner Fläche und seiner Speicherfähigkeit ein. In der Nachbarprovinz Hubei, die im chinesischen Volksmund „Provinz der tausend Seen“ heißt, sind seit 1949 über 600 Seen, die als natürliche Wasserreservoire dienen könnten, von der Landkarte verschwunden.

Geld für Wasserbauten in die Wirtschaft umgeleitet

Auch die Abholzung der Berghänge in der Region erhöht die Überschwemmungsgefahr. 40 Prozent im Einzugsgebiet des Yangzi sind von Bodenerosion betroffen. Die abgespülten Böden lagern sich auf dem Grund des Flusses ab, der die dritthöchste Schlammfracht der Welt transportiert.

Nicht zuletzt sind die alljährlichen Verluste an Menschenleben und Sachwerten so hoch, da der Mangel an Ackerland und Lebensraum in den dichtbesiedelten Flußtälern die Menschen zwingt, auch in Gebieten zu siedeln, die erwiesenermaßen hochwassergefährdet sind.

Auch gibt es im Hochwasserschutz eklatante Defizite, die den Prioritäten der am Wirtschaftswachstum orientierten „sozialistischen Marktwirtschaft“ geschuldet sind. Es werden zu wenige Mittel für die Instandhaltung von Wasserbauten bereitgestellt. Nach inoffiziellen Schätzungen sollen etwa 40 Prozent der landesweit über 80.000 Wasserreservoire reparaturbedürftig und teilweise in äußerst kritischem Zustand sein. Während die Zentralregierung für die größeren Flußsysteme zuständig ist, fällt der Hochwasserschutz der kleineren Flüsse und Seengebiete in die Verantwortung der lokalen Regierungen. Diese, so klagte zum Beispiel ein Bericht der China Daily im vergangenen Jahr, investierten aber statt in die Hochwasserkontrolle und den Deichbau eher in die Förderung der lokalen Wirtschaft. Daher seien die meisten chinesischen Kleinstädte völlig hilflos, wenn eine Flut vor der Tür stehe.

Am Dongting-See mögen die örtlichen Behörden darauf vertrauen, daß in etwa 20 Jahren einige hundert Kilometer weiter flußaufwärts am Yangzi der Dreischluchten-Staudamm die Fluten des wasserreichsten chinesischen Flusses zähmen wird. Das größte Staudammprojekt der Welt, mit dessen Bau im vergangenen Jahr begonnen wurde, ist aber innerhalb und außerhalb Chinas wegen der vorgesehenen Umsiedlung von 1,3 Millionen Menschen äußerst umstritten. Flußabwärts wäre möglicherweise die Flutgefahr zwar gebannt, doch könnte der reduzierte Abfluß zu einem erheblichen Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge führen. Doch bis dahin wird der Dongting-See noch einige Male über die Ufer treten.