„Zugang zum Asyl erheblich erschwert“

■ Judith Kumin, Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissariats in Deutschland, fordert für Flüchtlinge aus „sicheren Drittstaaten“ ein individuelles Widerspruchsrecht

taz: Frau Kumin, ist durch die sinkende Zahl von Flüchtlingen in Deutschland die These belegt worden, der überwiegende Teil der Asylsuchenden seien tatsächlich Wirtschaftsflüchtlinge gewesen?

Judith Kumin: Sicher, es wird jetzt schärfer getrennt. Diejenigen Personen, die heute Asylanträge stellen, kommen fast alle aus Ländern, in denen Verfolgung oder bewaffnete Konflikte stattfinden. Die Novellierung des Asylrechts hat schon abschreckend gewirkt.

Ist es gewährleistet, daß alle, die in Deutschland einen Asylantrag stellen wollen, dazu auch Gelegenheit bekommen?

Schutzbedürftige Personen müssen irgendwo Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben. Durch die deutsche Asylgesetzgebung ist dieser Zugang erheblich erschwert worden. Es gibt auch keine Garantien, daß diese Personen irgendwo anders Zugang zu einem Verfahren bekommen.

Während der Asyldebatte hat die Bundesregierung erklärt, sie werde dafür sorgen, daß Flüchtlinge in den sogenannten sicheren Drittstaaten wie Polen, Tschechien oder der Slowakei Asylanträge stellen können und nicht einfach zurückgeschickt werden. Wie sieht das in der Praxis aus?

Die Zahl der Asylanträge in diesen Staaten ist sehr gering geblieben. Es gibt dafür verschiedene Gründe: Entweder die Leute wollen in diesen Staaten keinen Asylantrag stellen, oder sie finden keinen Zugang zu einem Verfahren, weil sie nicht informiert werden. Wer in den Zentren, zum Beispiel in Warschau, zu den Behörden geht oder zum UNHCR kommt, wird sicher korrekt informiert – das ist aber nicht überall so. Die Bundesrepublik könnte die Drittstaatenregelung verbessern, wenn sie Asylbewerber, die z.B. nach Polen zurückgeschickt werden, informieren würde, wie sie in Polen einen Asylantrag stellen können.

Das Bundesverfassungsgericht wird demnächst über die Drittstaatenregelung entscheiden. Wird sie Bestand haben?

Ich will nicht ein laufendes Verfahren kommentieren. Die Position des UNHCR ist aber klar. Wir haben schon während der Asyldebatte 1992/93 empfohlen, daß bei Drittstaaten, ähnlich wie bei den sogenannten sicheren Herkunftsländern, ein individuelles Widerspruchsrecht eingeräumt wird. Jeder Flüchtling soll die Möglichkeit haben darzulegen, warum dieses bestimmte Drittland für ihn nicht sicher ist, selbst wenn der Staat im Prinzip als sicher gilt.

Das deutsche Asylrecht ist auch mit dem Argument verändert worden, man müsse sich an die übrigen EU-Regelungen anpassen. Hat die Harmonisierung des Asylrechts innerhalb der EU stattgefunden, gibt es eine gemeinsame Flüchtlingspolitik?

Was wir zumindestens im Bereich des Schengen-Abkommens haben, ist eine Kompetenzregelung – also wann ist welches Land zuständig. Was wir überhaupt nicht haben, ist eine materielle Harmonisierung. Schon die Einigung auf den Flüchtlingsbegriff ist noch strittig, weil kein Land einen Eingriff in seine Rechtsprechung akzeptieren will. Besonders umstritten ist die Frage der Staatlichkeit der Verfolgung. Deutschland und Frankreich sind da sehr restriktiv, andere Länder weniger. Das Problem an diesem Punkt ist gerade, daß Verfolgung immer häufiger durch nichtstaatliche Akteure, wie zum Beispiel in Algerien durch islamische Fundamentalisten, stattfindet, und immer mehr Flüchtlinge nicht mehr unter den klassischen staatlichen Verfolgungsbegriff zu subsumieren sind.

Zeichnet sich auf EU-Ebene ein gemeinsames Einwanderungsrecht ab, daß die Festung Europa wieder etwas durchlässiger macht?

Noch nicht, aber ich bin überzeugt, daß es dazu kommen muß. Wir brauchen eine abgestimmte Politik im Bereich Asyl, Einwanderung und Beseitigung von Fluchtursachen. Alle drei Bereiche sind eng miteinander verbunden, sie müssen auch innerhalb der Politik der EU miteinander verknüft werden. Interview: Jürgen Gottschlich