Rühes teurer Blick durch die Wolken

Die Bundesrepublik will in den Klub der Weltraummächte einsteigen / Bonn und Paris feilschen um Milliarden für die Spionagesatelliten Horus und Helios / Der Nutzen ist umstritten  ■ Von Eric Chauvistré

In der Mythenwelt der Ägypter war Horus der Gott des Himmels und des Lichtes. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, wird Horus bald wieder in himmlische Höhen aufsteigen. Mit Hilfe von Milliarden aus dem Bundeshaushalt soll ein nach ihm benannter Radarspionagesatellit auch durch Wolken hindurch auf die Erde blicken. Die „raumgestützte Aufklärung“ ist nötig, so ein Hardhöhen-Sprecher, „um die Bundeswehr zur Wahrnehmung ihrer erweiterten Aufgaben im multinationalen Verbund zu befähigen“.

Geht es nach den Vorstellungen des Verteidigungsministeriums, wäre zudem mit dem Fotosatelliten Helios-2 spätestens im Jahr 2002 der erste deutsch-französische Späher im All.

So reibungslos wie geplant geht es mit dem deutschen Beitritt in den Klub der Weltraummächte allerdings nicht. Eine Beteiligung an dem französischen Fotosatelliten Helios-2 wird aufgehalten durch Uneinigkeit um den Radarsatelliten Horus: Nur wenn eine französische Beteiligung an dem unter deutscher Federführung entwickelten Horus gesichert ist, so die Bonner Pläne, gibt es auch Geld für Helios.

Ungeachtet des Zögerns in Bonn gab Paris im April grünes Licht für den Beginn der entscheidenden Entwicklungsphase von Helios-2. Mittel sind ausreichend vorhanden: Letztes Jahr steigerte Frankreich sein Budget für militärische Weltraumaktivitäten um 23,4 Prozent auf über eine Milliarde Mark. Ein Zwanzigstel der jährlichen Rüstungsausgaben geht somit ins All. Ähnliche Steigerungsraten soll es auch im deutschen Etat geben. Zur Bewältigung „neuer sicherheitspolitischer Risiken“, so das Argument von Rühes Strategen, brauche die Bundesrepublik Zugang zu den Spähern im All. Vor allem die „Verifikation von Rüstungskontrollvereinbarungen und Beobachtung von Rüstungsanstrengungen“ mache die Milliardeninvestition notwendig. „Selbstverständlich sind Satelliten zur Verifikation nützlich“, räumt Allen Thomson ein, der dreizehn Jahre lang beim US-amerikanischen Geheimdienst CIA Satellitenbilder auswertete. Doch Thomson warnt vor zu hohen Erwartungen: „Wenn etwas Verdächtiges gesehen wird, sind meist weitere Nachforschungen am Boden oder mit Flugzeugen notwendig.“

Die amerikanischen Geheimdienste mußten nach dem Golfkrieg die bittere Erfahrung machen, daß auch die besten Aufnahmen aus dem All nutzlos sein können. Nur durch Zufall entdeckten UN-Kontrolleure nach dem Waffenstillstand eine bis dahin verborgene Urananreichungsanlage im Irak. Den Satelliten der Amerikaner war das Gebäude zwar nicht entgangen, doch die Auswerter erkannten die Funktion des Komplexes nicht.

Die Satellitenaufklärung wird überschätzt

„Mit Verifikation läßt es sich nicht begründen, in diese Projekte einzusteigen“, meint Jörg Hans Wallner, Spezialist für Fernerkundung am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. „Rüstungskontrollaufgaben können sehr gut mit modernen zivilen Satelliten betätigt werden“, befinden auch die Experten des angesehenen Büros für Technikfolgenabschätzung beim US-Kongreß. Amerikanische und russische Firmen werden schon bald Aufnahmen anbieten, auf denen bereits metergroße Gegenstände erkennbar sind.

Die Nutzung von Satellilten im Golfkrieg hat die frisch gebackenen Globalstrategen scheinbar beeindruckt: neben Transportflugzeugen bereiten die Himmelsspäher den Bonner Militärplanern deshalb feuchte Augen. Selbst das Satellitennetz der Amerikaner funktionierte aber längst nicht so wie angepriesen. „Der Nutzen von Satelliten im Golfkrieg“, so Insider Thomson, „wurde von Leuten hochgespielt, die ein persönliches Interesse an Satellitensystemen haben.“ Moderne Aufklärungsflugzeuge lieferten dem Pentagon wesentlich genauere Daten.

Zur Beobachtung von Konflikten, wie sie in Bosnien, Ruanda, Somalia oder Sri Lanka stattfinden, wären Satelliten praktisch ohne Nutzen: Einzelne Scharfschützen werden auch auf Helios- Bildern nicht zu erkennen sein. Von Haus zu Haus ziehende Todesschwadrone könnte auch die beste Satellitenkamera nicht identifizieren.

Ulrich Albrecht, Professor für Internationale Politik an der Freien Universität Berlin, vermutet deshalb, daß „die Bundesrepublik sich auch aus frankreichpolitischen und industriepolitischen Gründen beteiligt“. Ein Beamter der Hardthöhe räumt ein, daß Helios und Horus zur „Sicherstellung der Beteiligung der deutschen Industrie in der europäischen Raumfahrt“ beitragen soll: „Es gilt, die vorhandenen Kapazitäten in den Spitzentechnologien zu erhalten und zu fördern.“

Die Förderung kann dauern: Mit der Direktive NSTC-3 beendete Präsident Clinton im Mai vergangenen Jahres den Versuch, die amerikanischen Landsat-Fotosatelliten privatwirtschaftlich zu finanzieren. Mehr als zwanzig Jahre nach Beginn der Vermarktung von Satellitenbildern muß das Landsat-Programm weiter staatlich subventioniert werden.

Auch der vermeintliche kommerzielle Erfolg des französischen Spot-Programms basiert wohl auf einem Buchhaltertrick. Weder die Anschaffungskosten noch die hohen Ausgaben für die Entwicklung werden eingerechnet. Die Einnahmen für die Spot-Aufnahmen decken gerade einmal die laufenden Kosten. Zudem lassen sich die Entwicklungsausgaben für die zivilen Spot-Satelliten von denen für die militärische Helios-Serie kaum trennen. Der ehemalige französische Verteidigungsminister und Helios-Förderer Pièrre Joxe war um eine Erklärung für die Milliardeninvestition in militärische Satelliten nie verlegen: Ohne militärische Satelliten, so Joxe bereits 1991, wäre „der Status der Nation gefährdet“.