Krieg geächtet – im Spiel

„Die Siedler von Catan“ wurde „Spiel des Jahres“: Auf gewaltfreie Weise neue Länder besiedeln und gerechten Welthandel aufbauen  ■ Von Silke Focken

„Ich wander' aus“, so der übliche Satz, wenn der Alltagsfrust zugeschlagen hat. Vier Familien machen Ernst, suchen das abenteuerliche Ungewisse und landen auf der Insel Catan. Ohne den Supermarkt an der Ecke und die gemütliche Eigentumswohnung wollen sie sich eine neue Existenz aufbauen – und haben Glück: Die Insel ist fruchtbar und reich an Rohstoffen.

Doch da geht schon das Geschubse und Gerangel um die besten Siedlungsplätze los. Da jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, sind viel Überzeugungskraft und harte Verhandlungsgespräche vonnöten. Ein eifriges Tauschen, Handeln und Feilschen beginnt. Außerdem treibt auch noch ein Räuber sein Unwesen ...

Die Episode ist keineswegs Inhalt einer neuen Robinson-Crusoe-Auflage, sondern Hintergrund des „Spiels des Jahres 1995“. „Die Siedler von Catan“ hat der erfolgreiche Spieleautor Klaus Teuber sein preisgekröntes Familienspiel getauft, das gestern in Berlin vorgestellt wurde.

Zwar unternehmen die drei bis vier Mitspieler nur ein Abenteuer am Spielbrett auf dem Wohnzimmertisch, können aber per Phantasiereise eine neue Form des Welthandels gestalten. „Den Spielenden wird ermöglicht, in eine Spielwelt abzutauchen und eine Rolle zu übernehmen, die im realen Leben nie möglich wäre. Kommunikative und soziale Fähigkeiten sind dabei genauso gefragt wie kühles Rechnen, Taktik, Spekulation, aber auch Würfelglück“, lobt Synes Ernst, Vorsitzender der Fachjury „Spiel des Jahres“.

„Beim Spiel kann man völlig versinken. Als altes Kulturgut hat es heute aber einen ziemlich schweren Stand“, sagt Synes Ernst und hofft, die Spielkultur und Marktbranche mit der jährlichen Preisvergabe etwas anzukurbeln. Die Kids von heute würden sich ihre Kultur heute vor allem durch Fernsehen und Videoclips reinziehen. Für Muße und Langsamkeit bleibe gar kein Raum mehr.

„Mir kam es besonders darauf an, ein gewaltfreies Spiel zu entwickeln“, sagt der Zahntechniker Klaus Teuber, der seine Spiele nicht mathematisch, sondern von der „Gefühlsseite“ plant. Schon als Kind hat ihn die Geschichte der Entdeckung Amerikas und Afrikas fasziniert. Seine romantischen Vorstellungen von der Besiedlung einer neuen Welt wollte er in einem Spiel lebendig werden lassen, ohne aber die unrühmliche Behandlung der Ureinwohner durch die Kolonialisten fortzusetzen. „Der Handel sollte der Motor des Spiels sein, nicht der Krieg“, sagt der Spieleerfinder.

Aus etwa 300 Spielen hat das elfköpfige Juryteam in einem langwierigen Verfahren „Die Siedler von Catan“ aufgrund der originellen Spielidee, der Verständlichkeit und des exklusiven Layouts ausgewählt, und zwar einstimmig.

Um das beste Spiel herauszufinden, spielen die Jurymitglieder selbst immer wieder sämtliche Spiele durch – eine angenehme Arbeit. Bei Klaus Teuber stapeln sich derweil die Trophäen in Form von überdimensionalen Spielfiguren aus Holz im Regal. Der Zahntechnikermeister wurde schon zum vierten Mal geehrt.

Während die Spielbranche nach dem „Spielboom“ Ende der 80er Jahre heute teilweise auf wackligen Füßen steht, funktioniert die Preisvergabe zumindest für die prämierten Spiele als wirksame Werbetrommel. Etwa 300.000 Spiele gehen im Siegerjahr über den Ladentisch. Andere Spiele werden dagegen nur zwischen 2.000 und 80.000mal verkauft.