Marvellous! Disgusting! Lovely!

„Come on, Duke, gimme the fuckin' pot“: Exklusiver Blick auf das Wimbledon-Finale zwischen Sieger Sampras und Verlierer Becker (6:7, 6:2, 6:4, 6:2) aus der Sicht des Herzogs von Kent  ■ Aus Wimbledon Herzog Matti von Kent

Oh Boy, ist mir schlecht! Ich hätte doch beim Tee bleiben sollen wie Duchess, mein trautes Weib. Bei dieser Hitze erst ein Glas Pimm's und dann noch der blutige Champagner, den mir dieser Spanier Samaranch aufgedrängt hat, das haut den stärksten Lord um. Dabei wollte sich dieser IOC- Bonze bloß ranwanzen, damit er neben mir in der ersten Reihe sitzen kann, weil er angeblich so klein ist und sonst nichts sieht. Aber hat sich was. So schnell vergessen wir die Armada nicht.

Puh, noch ein paar Stufen, dann hab' ich es geschafft. Centre Court von Wimbledon, der letzte Sonntag. Mein Lieblingstag. Zum einen hat dann das elende Ballgeschubse endlich ein Ende, zum anderen darf ich dem Gewinner des Männerfinales den Pokal überreichen und komme ins Fernsehen.

Aber was sag' ich bloß den Ballkindern? O Gott, ist das etwa Diana, die da sitzt? Hoffentlich hat sie nicht irgendeinen Pferdepfleger dabei. Oder, noch schlimmer, ihr Langohr von Gatten. Der hätte mir gerade gefehlt. Dem Himmel sei Dank, bloß eine Freundin. Schwein gehabt.

So, ich sitze, Duchess auch, eigentlich kann es losgehen. Ah ja, da sind sie auch schon, die Finalisten. Wer spielt eigentlich? Den rotblonden Typen kenne ich irgendwo her. Muß ich mal Duchess fragen. Genau, das war der niedliche Deutsche, Boris Becker, der hier vor zehn Jahren so wild rumgehüpft ist, daß ich schon dachte, er landet irgendwann bei uns in der Loge. Sieht ganz schön abgerissen aus inzwischen. Aber immer noch besser als dieser Perser mit dem Turban, der uns die ganze Woche so aufdringlich sein in eine riesige, durchsichtige Hose gekleidetes Hinterteil entgegengestreckt hat. Und der andere? Ah, Pete Sampras. Den mag ich. So ruhig und bescheiden. In einem Film, das hat eine bürgerliche Zeitung geschrieben, müßte er von Jeff Goldblum gespielt werden. Kenn' ich nicht, aber immer noch besser als Hugh Grant, höhö. Becker übrigens, sagt der Independent, den sich Duchess immer vorlesen läßt, sollte von Klaus Kinski gespielt werden. Kenn' ich aus den Edgar-Wallace- Filmen, prima Idee.

Tja, der Sampras. Der kommt ja jetzt jedes Jahr, wie früher dieser maulfaule Schwede, der nicht mal danke gesagt hat, wenn ich ihm den Pokal gegeben habe, Borg oder so. Gemessen an dem unflätigen Connors, der mir immer fast die Hand zerquetschte, allerdings ein gewaltiger Forschritt. McEnroe, John McEnroe, den hab' ich gemocht. „Come on, Duke, gimme the fuckin' pot“, hat der immer gesagt und mich ständig gefragt, ob ich mit John Wayne verwandt bin. Reizender Bursche. Ich wollte ihn sogar mal zu einem Galadiner im Buckingham Palace einladen, aber Liz hat gesagt, wenn ich das tue, läßt sie mich entmündigen. Alte Schabracke.

Aha, es geht los. Sampras schlägt auf. Gosh, da muß man ja in Deckung gehen. Und schon sitzen sie wieder. Wenn das so weiter geht, verschwinde ich gleich zum Teetrinken. Ist ja fast wie bei diesem langen Kroaten mit dem langen Namen. Wo sitzt eigentlich Samaranch? Ha, zwei Reihen hinter mir, und verrenkt sich fast den Hals. Tja, Marquis, Wimbledon ist nicht Olympia. Und der Dicke dahinter? Richtig, Placido Domingo, der Sänger. Ich werde nie verstehen, warum es Tenöre aus Mexiko, aber keine Wimbledonsieger aus England gibt.

Hält sich eigentlich ganz gut, der Becker, auch wenn er bei seinen Hechtsprüngen inzwischen wirkt wie Langohr, wenn er mal wieder beim Polo vom Pferd fällt. Aber die Aufschläge sind nicht von schlechten Eltern – wer ist eigentlich der lästige Mensch, der immer mit einer Kleinbildkamera hinter mir rumfotografiert – und rennen kann er auch noch ganz ordentlich für seine 27. Ah, Tie-Break, das seh' ich gern. Come on, Boris. Hau rein. As, marvellous. Return, lovely. Aber wohl nicht gut genug für Sampras, Volley, Netz, na, wer sagt's denn. Erster Satz für Becker. Das wird spannend.

Was sag' ich bloß den Ballkindern? Duchess macht es sich da leicht. Sie fragt einfach, ob sie Bridge spielen, ob sie auch so gern Cremehütchen mit Gurkenfüllung essen und wie viele Kinder sie haben. Aber das sind doch keine Fragen für einen Herzog. Ich muß mir was ausdenken. Vielleicht sollte ich Diana fragen. Wo sitzt sie eigentlich. Ah, neben mir. Hi, Di! Ich frag' sie lieber nicht, sonst fängt sie bestimmt gleich wieder an, mir von Langohr vorzujammern.

Was, der zweite Satz ist schon zu Ende? 6:2 für Sampras, das ging schnell. Keinen einzigen Punkt hat er abgegeben, wenn sein erster Aufschlag kam, sagt Duchess. Das nenne ich Stil. Und Becker wird langsamer, sagt Duchess. Kein Wunder, in dem Alter. Außerdem hatte er ja das anstrengende Halbfinale, in dem er uns von diesem lästigen Perser mit den Ohrringen befreit hat, den die Leute erstaunlicherweise lieben. Meine eigenen Kinder auch. Wo stecken die eigentlich? Zu blöd, daß wir die Blagen mitnehmen mußten. Ständig muß ich ihnen Eis und Pizza kaufen. Dabei sind sie schon fast im Rentenalter.

Und warum tappt eigentlich der Becker jetzt so blind herum und hält sich die Augen zu? Aha, verstehe, ein Witz. Weil er die Aufschläge von Sampras sowieso nicht kriegt, egal, ob er sie sieht oder nicht. Der dritte Satz ist auch schon futsch. Langsam wird's langweilig. Wenn ich da an McEnroe – Borg denke, oder an die Ladies, die gestern gespielt haben. Da war was los. Bloß, daß uns diese dumme Göre, die gewonnen hat, dann vor der Siegerehrung ewig warten ließ, weil sie ihre Familie in der Loge besuchen mußte, hat uns nicht gefallen. Die laden wir nicht mehr ein, habe ich dem Turnierdirektor gesagt, aber der meinte, das geht nicht. Disgusting! Wir hätten die Magna Carta doch nicht unterzeichnen sollen.

Wieso läßt der Sampras eigentlich immer die Zunge so raushängen? Erinnert mich an meinen Cousin Harold, aber bei dem stecken auch 800 Jahre Inzucht dahinter. Muß ich ihm nachher unbedingt sagen, wenn ich ihm den Pokal überreiche. Da, Matchball. Und Schluß! Auf geht's. Die Arbeit ruft.

So, jetzt ganz vorsichtig die Stufen runter, elender Champagner, und raus. Oh, verdammt, die Ballkinder. Hab' ich ganz vergessen. „Äh, ööhmm. Na, Bursche, wie war heuer die Jagd?“ Nun glotz' nicht so wie ein verdammter Stockfisch! Sag was! Alle Fernsehkameras sind auf uns gerichtet. Na gut, dann eben nicht, der nächste. „Ho, ho, wie waren denn die Bälle dieses Jahr?“ Genialer Einfall. Aha! Weich! Wenigstens eine Antwort. Wer hat da „wie deine Birne“ gesagt? Duchess, wenn ich dich erwische ...