Die bosnische Armee kann nicht helfen

Der Angriff der Serben auf die UN-Schutzzone Srebrenica ist ihre Antwort auf die Offensive der Bosnier bei Sarajevo / Die bosnische Führung erhofft sich Hilfe von der US-Regierung  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Die Schreie der Verletzten, das Donnern der Artillerie, all das kann ich nicht hören.“ Aber vorstellen könne sie sich das, erklärte gestern die Vorsitzende der Srebrenica- Kommission in Tuzla, Jasna Halilagic, die selbst aus Srebrenica stammt. Die Nachrichten, die sie aus der Enklave erhalte, seien alles andere als ermutigend. „Es herrscht die reine Panik.“ Die Menschen, die bisher in der Umgebung der Stadt Srebrenica wohnten, flüchteten in die mit 43.000 Menschen längst überfüllte Stadt. „Die Toten kann wegen der Panik , die die serbische Artillerie ausgelöst hat, keiner zählen, mehr als hundert sind es gewiß.“

Niederländische UN-Soldaten hielten am Morgen die südlichen Zufahrten zur Stadt blockiert, hieß es im UNO-Hauptquartier. „Das niederländische UN-Bataillon hat dort eine Verteidigungsstellung aufgebaut und Panzerabwehr- Waffen in Stellung gebracht“, sagte ein UN-Sprecher. „Im Moment machen die Serben keine Anstalten, gegen diese Linie vorzugehen.“ Die UN-Führung hatte den Serben am Vorabend mit sofortigen Luftangriffen bei einem weiteren Vordringen in die Enklave gedroht. Doch werden die Drohungen auch wahrgemacht?

„Das ist wohl zu bezweifeln, doch hoffen wir noch immer.“ Jasna Halilagic hofft vor allem auf den US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. Und damit steht sie im Einklang mit der Regierung in Sarajevo. Angesichts der „Tatenlosigkeit der UNO“ forderte diese nämlich am Sonntag das „Eingreifen befreundeter Nationen“. An ein Eingreifen der bosnischen Armee sei jedoch nicht zu denken. „Die ist zu weit entfernt.“

„Mit Srebrenica wollten sie unsere Hände binden“, sagte schon vor wenigen Wochen ein hoher bosnischer Militär in Tuzla. Er meinte damit, daß Srebrenica ein Faustpfand in der Hand der serbischen Extremisten sei: Bei einer Offensive der bosnischen Armee bei Sarajevo würden sie in Ostbosnien ihren Gegenangriff starten. Und tatsächlich wurde der Angriff begonnen, nachdem der serbische Belagerungsring um Sarajevo durch die bosnischen Regierungstruppen ins Wanken gerät.

„Karadžić muß nach all den Niederlagen der letzten Wochen Erfolge vorweisen, um den eigenen Laden zusammenzuhalten“, erklärte Mirza Kuslugic, die rechte Hand des Bürgermeisters des ostbosnischen Tuzla. Und die Menschen in Tuzla fühlen insbesondere mit jenen in Srebrenica, ist doch Srebrenica Teil des Kantons Tuzla, also verwaltungstechnisch Tuzla angeschlossen.

Es war also den bosnischen Militärs und der Regierung klar, daß ein Angriff auf Sarajevo eine Aktion der Serben in Srebrenica nach sich ziehen würde. Es blieb ihr aber nach eigenem Bekunden angesichts der sich ständig verschlechternden Lage um Sarajevo keine andere Wahl. Und es war auch klar, daß sich Srebrenica gar nicht mit eigenen Kräften verteidigen ließe. Denn seit Frühsommer 1993 ist die Stadt demilitarisiert. Zuvor war es den serbischen Truppen gelungen, vor allem die nordwestlichen Gebiete der damals schon bestehenden Enklave zu erobern.

Der französische General Philippe Morillon war es, der mit einem Besuch in Srebrenica damals dafür gesorgt hatte, daß die serbische Offensive zum Stehen kam. Damals hatte die serbische Seite noch Respekt vor der UNO. Und Angst vor internationalen Militäraktionen. Denn auch der US-Präsident hatte wegen Srebrenica reagiert. Wegen des Hungers in der Enklave wurden ab März 1993 „Airdrops“ organisiert: Flugzeuge warfen Hilfslieferungen ab. Da schon im Herbst 1992 das Flugverbot wegen der Angriffe auf Srebrenica ausgesprochen und Serbien mit einem Wirtschaftsembargo belegt worden war, sind die Angriffe auf Srebrenica für die Serben damals nicht folgenlos geblieben. Doch war es ihnen 1993 gelungen, das Territorium der Enklave wesentlich zu verkleinern. War vor dem serbischen Angriff die Demarkationslinie der Enklave nur 20 Kilometer vom bosnisch kontrollierten Territorium entfernt, so sind es seither 40 Kilometer.