„Ehrlich und traditionsbewußt“

Der Bestechungsskandal um Peter Enderle, Vorstandsmitglied der Adam Opel AG, belastet den guten Ruf einer ganzen Stadt  ■ Aus Rüsselsheim Klaus-Peter Klingelschmitt

Zum Hauptportal der Fabrik sind es nur wenige Schritte. Hier, neben den Bahnhof, steht der alte Adam. So heißt er bei den Einheimischen. Adam Opel, der Gründer, spendet Schatten an diesem heißen Tag. Rentner kommen vorbei zum Nachmittagsschwätzchen. Wie Straftäter zieht es sie hierher zurück, an den Tatort ihrer Profession. Sie haben viel zu reden. Die Lokalzeitungen, das Rüsselsheimer Echo und die Mainspitze, haben ein Thema im Sommerloch: Korruption bei Opel. „Was der Enderle in einem Jahr verdient hat, hab' ich doch im halben Leben nicht bekommen“, schimpft einer. Er hat bei der Materialausgabe im Schnittbau gearbeitet. Die anderen in kurzen Hosen, grauen Socken, Sandalen und kurzärmeligen Hemden nicken. „Je mehr se ham, desto mehr wolle se habbe.“

Einige Jahre hinter Gitter gehörten die schon, „falls des alles stimmt, was mer so im Echo lese kann“. Ein guter Ruf steht auf dem Spiel. Opel bestimmt das Leben. Wenn Vadder von der Nachtschicht kommt, muß Ruhe sein. Dann schläft er bis Nachmittag. In Urlaub gefahren wird in den Werksferien – mit einem Opel. „Das Wort ,Auto‘ plappern die Kleinen schon vor dem Wort ,Mama‘, sagt Walter Schmidt. 40 Jahre alt ist der Ingenieur, Vater von drei Kindern, seit 15 Jahren bei Opel. Schon der Vater und der Großvater arbeiteten dort, der eine als Werkzeugmacher, der andere als Dreher.

Der Enkel sollte es „noch besser“ haben. Nach einer Werkzeugmacherlehre bei Opel durfte er Maschinenbau studieren. Daß der frischgebackene Ingenieur danach wieder zu Opel gehen würde, daran hat er nie gezweifelt. Aber jetzt wird der gute Name „von den Bonzen in de Dreck gezoche“, klagen die Rentner am Denkmal. In Detroit hat sich ein Manager sogar mit Autoabgasen vergiftet, als die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auch gegen ihn aufnahm, der inzwischen bei General Motors, der Konzernzentrale, arbeitete. Vor allem die Großen der Baubranche, Hochtief, Holzmann, sollen dem Manager Peter Enderle und seinen Kollegen Privathäuser und Villen zu Vorzugspreisen gebaut haben. Den Restbetrag holten sie sich über fingierte Rechnungen von Opel. Bei Eisenach und im Rüsselsheimer Stadtteil Bauschheim stehen die meisten der Anwesen, die so wenig gekostet haben, daß es selbst der Provinzstaatsanwaltschaft in Darmstadt auffiel. Auch die Steuerfahndung ist damit befaßt.

Insider, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, wundern sich nicht. Seit Jahren sei „allgemein bekannt“, daß Zulieferer und andere Fremdfirmen den Spitzenmanagern an Geburtstagen oder an Weihnachten die Keller und Tiefkühltruhen auffüllen – mit kanadischem Wildlachs, Beluga- Kaviar und Champagner. Und von kostenlosen Ferienreisen und Barschecks war im Flurfunk die Rede. „Da hat doch nie ein Hahn danach gekräht“, sagt ein mittlerer Manager aus der Abteilung Einkauf.

Ingenieur Schmidt schwingt am Wochenende im Tennisclub „Oase“ das Racket. Der Stolz auf Opel ist ungebrochen. Nur die Schlagzeilen sind seit Monaten schlecht. Da gab es eine Rückrufaktion für den „Astra“, und noch eine zweite für den „Omega“. Dann ging der Supermanager Ignacio Lopéz zum Konkurrenten VW und nahm dabei – angeblich – gleich noch die Konstruktionspläne für neue Modelle der Rüsselsheimer mit. Und jetzt auch noch Peter Enderle und die Ermittlungen gegen zweihundert weitere Mitarbeiter und diverse Partnerunternehmen: Ein „Riesenhammer“ sei das schon, findet Ingenieur Schmidt, der ins mittlere Management aufgestiegen ist.

„Ein paar schwarze Schafe“ gebe es aber immer, denen „der eigene Geldsack wichtiger ist“. Aber in seiner Abteilung, der Karosseriekonstruktion, hat niemand Post von der Staatsanwaltschaft bekommen. „Das sind alles Leute, die als Lehrlinge bei Opel angefangen haben und sich dann intern oder extern weitergebildet haben.“ Die seien heute das Rückgrat und „ehrliche und traditionsbewußte Automobilbauer“.

So einer war nun aber auch Peter Enderle, der das neue Werk von Opel in Eisenach aufgebaut hat. Den amerikanischen Traum hat er gelebt – vom Lehrling zum Vorstand. Zum 60. Geburtstag hatte sich Bundesinnenminister Manfred Kanther angesagt. Der Vorstandsvorsitzende, der Amerikaner David Herman, hat die Feier abgesagt, die Ehrengäste ausgeladen und Enderle in den Urlaub geschickt – „bis zur endgültigen Klärung der Vorwürfe“. Soeben hat die Staatsanwaltschaft zwei weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet. Getroffen hat es den honorigsten unter den Honoratioren: den Ehrenvorsitzenden des Aufsichtsrates und ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Beickler. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben eine Sondersitzung beantragt. Und nach den Werksferien soll eine Betriebsversammlung stattfinden.

Warum nur bleibt Walter Schmidt dabei so gelassen? „Wenn die Enderles alle in die Gefängnisse wandern, braucht die Firma doch zuverlässige Leute, die dann in leitende Positionen nachrücken – vielleicht sogar mich.“