Die Macht und die Gefühle

Der steile Aufstieg und der rasante Fall des Heinz Eggert: Gestern trat der sächsische Innenminister zurück / Er stolperte über eigene Mitarbeiter, die ihm vorwerfen, sie sexuell belästigt zu haben  ■ Aus Dresden Detlef Krell

„Auf meine Kanzel kann ich nicht mehr zurück“, vertraute Heinz Eggert einmal Journalisten an, „die Pfarrstelle in Oybin ist schon wieder besetzt.“ Er sprach von diesem versperrten Rückweg in den geliebten Beruf mit ehrlichem Bedauern und der ihm eigenen Ironie. Tage vor dieser Gesprächsrunde hatte der sächsische Innenminister ein Polizeigesetz über die parlamentarische Bühne gezogen, das von Kritikern als das schärfste in der Bundesrepublik und als Angriff auf demokratische Grundrechte bewertet wird. Eggert hatte vor dem Landtag aber auch erklären müssen, warum er Stasi-Zuträger in der Polizei beschäftigt; SPD und Bündnisgrüne hatten seinen Rücktritt gefordert und waren vom Ministerpräsidenten selbst auf die Plätze verwiesen worden. Gestern nun trat Eggert doch noch zurück – er stolperte über ehemalige Mitarbeiter, die ihm vorwarfen, sie sexuell belästigt zu haben. Vielleicht wird er sich nun wieder nach seiner verträumten Bergkirche im äußersten Winkel Ostdeutschlands zurücksehnen – der von den Medien gefeierte Pfarrer im Ministersessel, der Kumpel mit den hochgekrempelten Ärmeln am Biertresen Dresdner Szenekneipen und DDR-Dissident.

Noch im letzten Jahr wiederholte der CDU-Star seinen Überraschungserfolg vom Oktober 1992, als er Ex-Generalsekretär Volker Rühe locker von der Seite aus der CDU-Führungsriege kantete. Mit 77,2 Prozent der Stimmen wurde der Seitenaufsteiger erneut zu einem der vier Kohl-Vizes gewählt. Kam, sah, siegte und verschwand wieder an die Elbe; dahin, wo dem medienbewußten Charismatiker die Schlagzeilen sicher sind. Was nicht heißt, daß er den großen Dicken nicht auch mal in Rage bringen könnte, so, als er zu Beginn des Superwahljahres über die Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur philosophierte.

„Pfarrer Gnadenlos“ dichtete die Bild, als Eggert noch Landrat in Zittau war; das verfolgte ihn fortan wie ein ungeliebter Vorname. „Gnadenlos bin ich nie gewesen“, beteuert der Ex-Pfarrer, „wer mir so etwas nachsagt, der kennt mich nicht.“ Fast auf den Tag genau ein Jahr nach Kriegsende in Rostock geboren, lebte Eggert zunächst „ganz normale DDR- Biographie“; nach der Lehre bei der Deutschen Reichsbahn arbeitete er als Stellwerksmeister und Fahrdienstleiter. Eine politische und schließlich biographische Zäsur setzte die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Eggert ließ sich konfirmieren; von 1969 bis 1974 studierte er in Rostock Theologie. Nach dem Studium ging er als Gemeindepfarrer nach Oybin im Zittauer Gebirge und als Studentenpfarrer an die Hochschule für Energetik, Zittau. Die Stasi ließ ihn rund um die Uhr aushorchen und überwachen. Eggert, politische und moralische Instanz in einem der geographischen Zentren der DDR-Opposition, er sollte „zersetzt“ werden – auch durch gezielt lancierte Gerüchte über seine sexuelle Orientierung.

Nach dem Herbst 1989 schloß er sich nicht, wie seine politischen Freunde es erwartet hatten, dem Neuen Forum an. Eggert plazierte ein seitdem oft zitiertes Schildchen auf den Pfarrerschreibtisch: „Kein politisches Amt!“ Er leitete die Kommission zur Untersuchung von Amtsmißbrauch und Korruption des Kreises Zittau, als ihn der neue, CDU-geführte Kreistag bat, Landrat zu werden. Eggert hatte „zwei Tage Zeit“ und sagte zu. Der steile Aufstieg in die politische Klasse war gestartet.

Im Oktober 1990 trat er in die CDU ein. Bald darauf ließ Biedenkopf ihn den Aufbaustab für Sachsens Verfassungsschutz leiten. Als das Stasi-Unterlagengesetz beschlossen war, studierte Eggert in der Dresdner Gauck-Behörde als erster seine Akte – so begann die erste Affäre Eggert. Nur daß diesmal noch er selbst die Fäden in der Hand hielt und den Chefarzt der psychiatrischen Klinik Großschweidnitz beschuldigte, den Patienten Eggert im Auftrag der Stasi mit Psychopharmaka vollgepumpt zu haben. Ein Vorwurf mit verheerenden Folgen für den Arzt, der jedoch einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt. Die Affäre wogte, das Dementi tropfte nur noch.

1991, nach dem ausländerfeindlichen Pogrom von Hoyerswerda zum Innenminister berufen, profilierte er sich mit seiner bundesweit einmaligen „Sonderkommission Rechtsextremismus“ und eben jenem Polizeigesetz als Verfechter eines starken Staates. Nach einer Kurzvisite in Ankara meinte er feststellen zu können, daß Kurden in die Türkei abgeschoben werden dürfen. „Eggert“, sagen einstige Freunde im Heimatwahlkreis Zittau, „ist ein Machtmensch.“ Allein das wäre noch nichts Besonderes für einen Politiker. Eggert liebt die Macht, doch er bekennt sich dabei auch zu seinen Gefühlen. Er liegt quer zum gängig unpopulären Politikerbild, nicht weil er das gern möchte, sondern weil er so ist – mit allen Konsequenzen. Im eher hölzernen Kabinett Biedenkopf war Eggert immer der Mann mit dem Draht zum Volk, der einzige, der noch besser als Kurt über die Politik reden konnte, ohne daß es gleich jeder merkte; einer, der sich mit ministerieller Kleinarbeit nicht gern aufhielt, aber auch einer, der innerlich bewegt ist, wenn ihm eine alte Frau in der Oybiner Kirche erzählt, wie sie für ihn betet.