Rundumschlag

■ Wohnkultur, Folge 8: Von Fundfotos und Duftbäumchen

Ich wohne gern. Manchmal möchte ich den ganzen Tag nur so vor mich hin wohnen und gar nichts anderes tun, aber das klappt meistens nicht. Meistens gehe ich irgendwann doch raus und bringe zum Beispiel den Müll runter. Dieser Gang wird dadurch versüßt, daß der Betreiber des Fotoladens unten im Haus die Bilder in die Tonnen schmeißt, die seine Kunden häßlich oder unscharf finden. Dicke Frauen beim Tischtennis sind auf solchen Fotos zu sehen und Männer mit Schirmmützen, die an schmierigen Pollern vor zweifelhaften Hafengewässern lehnen, schiefwinklige Stadtansichten und die Zeigefinger der Fotografen. Gern klauen mein Freund und ich solche Bilder und verschicken sie, auf Briefpapier geklebt, in alle Welt.

Auf der Straße vor unserer Tür riecht es nach einer Mischung aus Autoabgasen, Busfahrerschweiß und ein bißchen Flieder. Für Berlin ist das ja schon mal nicht schlecht. In nordöstlicheren Bezirken ist der Gestank nach Hundescheiße viel stärker als jeder Blütenduft, sofern Pflanzen dort überhaupt gedeihen. Die Gerüche von draußen fliegen aber durch die Wohnung hindurch und hinterlassen keine Spur. Ob es hier drinnen irgendwie besonders riecht, weiß ich nicht. Selber weiß man das nie. Aber natürlich hat jede Wohnung ihr spezielles Aroma. In Studentenwohnheimen kann man auf einem einzigen Stockwerk eine unglaubliche Vielzahl von Ausdünstungen wahrnehmen. Die meisten riechen nach Männer-Umkleideraum, manche nach edlen Büchereinbänden aus altem Leder, andere nach Altersheim (sie werden von jungen Hypochondern bewohnt, die im Bücherregal ihre Medikamente aufbewahren). Es gibt auch Häuser, in denen man ganze Epochen erschnüffeln kann. 50er-Jahre-Gebäuden haftet oft ein unverwechselbarer würziger Muff an, der auch durch hartnäckigstes Lüften nicht zu vertreiben ist. In der DDR schienen die Häuser um den landestypischen Geruch aus Braunkohle, Bohnerwachs und schwitzigen Kunststoffasern förmlich herum gebaut zu sein. Heute tragen die Menschen dort Baumwollhemden, heizen mit Öl und haben Teppichböden in ihre Korridore gepappt. Trotzdem ist die DDR nicht verduftet. Gerade öffentliche Gebäude halten die charakteristische Note fest – im gebohnerten Treppenhaus des carrousel Theaters in Lichtenberg zum Beispiel braucht man nur die Augen zu schließen und die Luft tief einzusaugen, um in die Vergangenheit zu reisen.

Privatwohnungen riechen stärker nach Epochen als nach Individuen. Leider gibt es Menschen, die die olfaktorische Eigenart ihrer Wohnungen mutwillig verderben. Räucherstäbchen sind wieder im Kommen, Duftstövchen immer noch nicht geächtet. Manche Menschen verseuchen ihre Zimmer mit dem süßlich-faden, unbeschreiblich ekelhaften Aroma farbiger „Duftbäumchen“. Indiskrete Schnüfflerinnen wie ich könnten meinen, daß solche Menschen etwas zu verbergen hätten. Liebe DuftbäumchenkäuferInnen: Hängt die Dinger lieber wieder ab! Geht raus an die frische Luft, Tischtennis spielen oder Hafenbecken anschauen. Und macht Fotos. Da haben andere auch etwas davon. Miriam Hoffmeyer