Undinge: Ziehen Von Claudia Kohlhase

Wozu natürlich drücken gehört. Warum alle drücken, wenn ziehen draufsteht, ist das letzte Rätsel der Menschheit. Kaum sieht jedenfalls jemand eine Türe, drückt er, aber nur, wenn ziehen draufsteht. Steht drücken drauf, zieht er. Ja, ja, Sie dahinten, Sie ziehen natürlich immer, wenn ziehen draufsteht, ist ja gut, es muß auch Streber geben. Die müssen das mit dem Ziehen und Drücken ja auch auswendig lernen, wenn sie sich nicht vor lauter Streben ununterbrochen den Kopf stoßen wollen oder durch Glasscherben waten im Falle von Glastüren.

Also wenn Sie mich fragen, mir sind Türen wesentlich lieber, wo nichts draufsteht. Man kann dann selber ausprobieren, wie 'rum alles geht; und die Natur macht einen in diesem Falle auch langsamer als bei Türen, wo ziehen oder drücken draufsteht und man mit Schwung hinhechtet und scheinbar genau weiß, was diesmal zu tun ist — den Rest können sich jetzt alle selber vorstellen. Das einzig Positive daran ist dann höchstens noch, wenn keiner auf der anderen Seite steht oder jemand hinter einem zu Fall kommt, wenn er aufläuft. Komischerweise steht nie stoßen auf solchen Türen, na egal, oder doch nicht: Stoßen klingt vielleicht zu gewalttätig, und normalerweise sollen Türen ja lange halten. Vermutlich würde auch bei stoßen niemand ziehen wollen, weil nur bei dem Wort drücken sich im Gehirn das Wort ziehen eingebürgert hat. Das scheint sowieso eine merkwürdige Gehirnnische zu sein, wo ziehen und drücken drin wohnen, wer weiß, ob da nicht schon Oliver Sacks dran ist.

Natürlich muß man im Leben alles dafür tun, sich zu verbessern; und das heißt nichts anderes, als irgendwann dazu zu kommen, bei ziehen zu ziehen und bei drücken zu drücken. Wo sonst kann man die Gleichzeitigkeit von sehen, denken und tun so einfach einüben? Man braucht sich eigentlich nur eine reizende Türe auszusuchen, wo ziehen draufsteht, und kann dann ununterbrochen draufzustreben und ziehen, ziehen, ziehen. Und nochmal zurück und wieder vor und ziehen, ziehen, ziehen. Dabei fällt mir mein Cousin Claus ein. Claus vergaß prinzipiell zu ziehen. Weshalb seine Eltern ihm gerne hinterherriefen, er möge doch ziehen, obwohl das Klo nur einen Drücker besaß! Der gute Junge muß Höllenqualen ausgestanden haben: Er wollte und wollte ziehen, aber er hätte ja drücken müssen!

Leider erklärt diese kleine Anekdote überhaupt nichts, was ich mir eigentlich erhofft hatte. Höchstens vielleicht, daß den beiden Tätigkeiten, die mit ziehen und drücken beschrieben werden, etwas Artverwandtes anhaftet, bloß jeweils in die andere Richtung. Hat eigentlich schon jemand bemerkt, daß solche Türen nur dazu da sind, uns in permanentem Zweifel an unseren Fähigkeiten zu halten? Ohne Türen hätte doch kein Mensch Probleme mit ziehen und drücken. Überall würde gezogen und gedrückt, was das Zeug hält! Also ich würde überall, wo's irgend geht, in die richtige Richtung ziehen wollen. Außer natürlich, es steht drücken drauf, aber da müßte ich ja auch wieder ziehen, eben weil drücken draufsteht — ist das kompliziert! Vielleicht ist es auch dialektisch. Dialektisch klingt entschieden besser als kompliziert. Vielleicht ist es auch idiotisch. Gottbewahre, möglicherweise ist es das.