Was heißt schon verkaufen?

■ Wird Silvio Berlusconi wirklich die Macht über seine Sender abgeben, wenn er jetzt Anteile verscherbelt? Alessandro Curzi, Nachrichtenchef bei der staatlichen RAI, bezweifelt das

Seit Tagen melden die italienischen Zeitungen, der Handel sei perfekt, aber immer noch ist eine Bestätigung nicht zu bekommen: Berlusconi will einen größeren Anteil an seinen Fernsehsendern an ein Konsortium verkaufen, das der saudische Prinz el-Walid anführt. Beteiligt sind daran, so meldet der Corriere de la Sera, auch Leo Kirch und die südafrikanische Rupert-Gruppe.

Einer, der nicht daran glaubt, daß Berlusconi damit wirklich die Kontrolle über seine Sender aufgeben wird, ist Alessandro Curzi. Der 65jährige gilt als umtriebigstes Denkmal des italienischen Journalismus der Nachkriegszeit. Von der kommunistischen Tageszeitung L'Unitá kommend, baute er die Nachrichtenredaktion des dritten TV-Senders der staatlichen RAI auf, verkrachte sich vor zwei Jahren mit dem Vorstand und bringt heute den Privatsender „Telemontecarlo“ (TMC) als Nachrichtenchef auf Vordermann: Im vergangenen Jahr haben sich dessen Zuschauerzahlen auf durchschnittlich fast eine Million verdoppelt. Trotzig behauptet er sich in der Konkurrenz zu Berlusconi und der RAI. Publikumsrenner sind dabei die Sportnachrichten: jeden Tag eine Stunde Informationen, dazu Sondersendungen von Autorennen über Ski bis Billard.

taz: Silvio Berlusconi hat den Volksentscheid vor vier Wochen gewonnen. Die Wähler und Wählerinnen wollten ihn nicht zum Verkauf von zwei seiner drei Sender zwingen. Sein Imperium bleibt also unversehrt, auch wenn er jetzt Verkaufsverhandlungen führt. Er will sogar wieder für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren.

Alessandro Curzi: Hans Magnus Enzensberger hat recht, wenn er unser Land das „Laboratorium der Moderne“ nennt. Italien übernimmt allerdings das Schlechte der Moderne. Heute zählt nur noch der Mythos des Gewinners. Den haben wir – wie auch die Seifenopern und Werbebreaks im Fernsehen – als erstes europäisches Land von den Amerikanern kopiert. Die demokratischen Institutionen der USA haben wir dagegen nicht übernommen.

In den USA darf kein einzelner Konzern das Privatfernsehen monopolisieren, und es kann kein Medienunternehmer Präsident werden, wenn er sich nicht von seinem Besitz trennt. Aber viele Italiener nehmen daran offensichtlich keinen Anstoß.

Hat bei dem Referendum die alte Politik des Tauschgeschäfts gesiegt: Stimme gegen Spielfilm?

Vor allem in Süditalien hat Berlusconi haushoch gewonnen. Dort gibt es praktisch keine Kinos mehr und auch sonst wenig Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Die Leute – vor allem die Hausfrauen – hängen den ganzen Tag vor dem Fernseher. Die Drohung, daß ihnen auch noch das Fernsehen genommen wird, hat gewirkt.

Haben die Wähler die komplizierten Fragen des Referendums überhaupt verstanden?

Es hat jede Menge Mißverständnisse gegeben. Zum Beispiel hat mir eine ältere Dame freudestrahlend erzählt, daß sie für das Privatfernsehen gestimmt hat, weil sie so gerne Telemontecarlo sieht. Dabei ist das Ergebnis für unseren Sender eine Katastrophe, weil abgelehnt wurde, die Werbemacht von Berlusconis Fininvest und der staatlichen RAI einzuschränken. Die kassieren über 90 Prozent der TV-Werbeeinnahmen, wir werden von denen geradezu erdrückt.

Auch die kleinen Tageszeitungen kämpfen um ihre Existenz. In den letzten Monaten sind viele Neugründungen des vergangenen Jahres wieder eingegangen, unter anderem „La Voce“ von Indro Montanelli. Hat eine Zeitung, die sich weder parteipolitisch bindet noch eine starke Industriegruppe im Rücken hat, in Italien überhaupt eine Chance?

Sie hat keine Chance. Die Situation auf dem italienischen Printmarkt ist dramatisch, weil die Figur des Verlegers, der in eine Zeitung um ihrer selbst willen investiert, im Grunde nie existiert hat. Die großen Blätter waren schon immer an Parteien oder Industriekonzerne gebunden. Der Mailänder Corriere della Sera wird von verschiedenen Industrie- und Finanzgruppen kontrolliert und die Turiner La Stampa vom Fiat-Konzern. Das Erscheinen von La Repubblica läutete 1976 eine neue Ära ein. Das Blatt des Verlegers Eugenio Scalfaro war die erste unabhängige Zeitung nach dem Krieg. Es gab zum ersten Mal eine Zeitung, die selbst Politik machte. Das ist eigentlich bis heute so geblieben, obwohl später Olivetti-Chef Carlo De Bendetti die Kapitalmehrheit übernommen hat.

Kann jetzt noch ein Gesetz verabschiedet werden, das Berlusconis Medienmacht einschränkt?

Letztes Jahr hat das Verfassungsgericht das bestehende Gesetz für ungültig erklärt, das Berlusconi drei Sender zugesteht. Bis nächsten Sommer muß es deshalb ein neues Gesetz geben. Das heißt: Jetzt fangen die Verhandlungen, die vor dem Referendum gescheitert sind, wieder von vorne an. Berlusconi spielt den Gewinner und zeigt keinerlei Bereitschaft, auch nur die Kontrolle über den geringsten Teil seines Imperiums abzugeben. Er diskutiert nicht, sondern läßt sich mit seinen Anhängern abfilmen, die „vinceremo“ rufen. Das erinnert mich an den Faschismus.

Berlusconi hat aber angekündigt, daß er Anteile an den Sendern jetzt verkaufen will. Nach dem Volksentscheid könnte er dafür auch eine ordentliche Summe kassieren. Wäre das die Lösung des Interessenkonflikts?

Was heißt schon verkaufen? Auch bei Fiat hält Giovanni Agnelli nicht die Mehrheitsanteile. Bei einer Aktiengesellschaft reicht ein Minderheitsanteil aus, um die Kontrolle zu behalten. Berlusconi kann mit 30 Prozent an die Börse gehen und einen oder mehrere Miteigner suchen. Bei diesem Deal wäre ihm Leo Kirch der liebste Partner. Die beiden haben schon andere undurchsichtige Beteiligungsgeschäfte abgewickelt. Das ist alles keine Lösung.

Was ist denn Ihr Vorschlag?

Das Beste wäre ein Abkommen zwischen den Parteien über die Neuordnung des Mediensystems. Ich bin da aber skeptisch, denn mit dem jetzigen Parlament – in dem noch immer das rechte Bündnis die Mehrheit hat – wird es keine Reform geben. Andererseits kann es keine neuen Parlamentswahlen geben, solange einer der Parteiführer Herr über das Privatfernsehen ist. Wir stecken da in einem Teufelskreis. Interview: Michaela Namuth