Jetzt weht Blüm der Wind ins Gesicht

■ Selbst ins Unionskreisen werden die neusten Pläne des Arbeitsministers, die Arbeitslosenhilfe jährlich dem "Marktwert" anzupassen, heftig kritisiert / "Unausgegoren und sozialpolitischer Rückschritt"

Berlin (taz) – „Das Wort „Marktwert“ stammt nicht aus unserem Haus,“ erklärt ein Sprecher des Bonner Arbeitsministeriums pikiert. Und sein Chef, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), spricht mittlerweile denn auch von einer „zeit- und situationsgerechten Einstufung“ der Arbeitslosenhilfe. Doch selbst in den eigenen Reihen erntete er gestern Kritik für seine Pläne, ab April 1996 die Arbeitslosenhilfe jährlich neu berechnen zu lassen und ihre Höhe am jeweiligen „Marktwert“ der Erwerbslosen zu bemessen. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Walter Link, hält die bisher diskutierten Vorschläge für völlig „unausgegoren“. Und der der Union nahestehende Christliche Gewerkschaftsbund geht davon aus, daß Blüms Vorhaben „sowohl menschlich als auch sozialpolitisch einen Rückschritt“ bedeutet.

Der sozialpolitische Referent des DGB, Wilhelm Adamy, meint, daß Blüms Gesetzesvorhaben den „Verarmungsprozeß der Betroffenen“ fördere. Angesichts der bisherigen Arbeitsmarktpolitik, die bemüht war, Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hätten die Vorschläge „keinerlei arbeitsmarktpolitischen Inhalte mehr“. Daß ein Arbeitsvermittler die Betroffenen „taxiert“, um dann die Höhe der Arbeitslosenhilfe festzulegen, hält Adamy für äußerst prekär. Willkür sei da nie ausgeschlossen.

Jeder siebte Arbeitslosenhilfeempfänger erhält - laut DGB - heute schon sowenig Geld, daß er zusätzlich Sozialhilfe beantragen muß. Zudem sanken die Sätze in den letzten Jahren kontinuierlich. Erhielt ein Erwerbsloser 1993 in Westdeutschland durchschnittlich noch 1.073 Mark Arbeitslosenhilfe (Ost: 795 Mark), so sank dieser Betrag 1994 auf 1.008 Mark (Ost: 782 Mark). Im laufenden Jahr, so Adamy, lägen diese Sätze aufgrund des Solidarzuschlags und der Beiträge zur Pflegeversicherung noch niedriger. 662.000 Erwerbslose beziehen derzeit im Westen Arbeitslosenhilfe, ein Drittel von ihnen sind Frauen. Im Osten sind es insgesamt 318.000, 69 Prozent davon sind Frauen.

Tatsächlich sind die Vermittler der Arbeitsämter schon jetzt angehalten, alle drei Jahre die Höhe der Arbeitslosenhilfe neu festzulegen. Nach dem Arbeitsförderungsgesetz (§ 136), so Michael Schweiger von der Bundesanstalt für Arbeit (BA), werde dann geprüft, für welche Arbeiten ein Erwersloser „nach seinem Leistungsvermögen“ noch in Betracht komme. Dabei würden alle „sehr individuell behandelt“. Alter, familiärer Hintergrund und Qualifikation spielten ebenso eine Rolle, wie der bisherige Berufsweg. Hinzu käme die aktuelle Leistungsfähigkeit. Im Zweifelsfall, so der Referent für Arbeitslosenhilfe bei der BA, müßten ärztliche Untersuchungen herangezogen werden. „Am Ende ist das ganze ein Abwägungsprozeß,“ meint Schweiger. Kein Wunder also, daß die Überprüfung der Arbeitslosenhilfe schon heute häufig zu Streitigkeiten vor den Sozialgerichten führt. Karin Flothmann