Gefühl und Schärfe

■ Handwerkliche Bescheidenheit in Bremens einziger Kunstgießerei „Statuarius“

Fingerdick liegt die Bescheidenheit auf allen Dingen hier. Auf den zurückhaltenden Tischen, in den schiefen Regalen mit den Gipsmodellen, selbst auf den kostbaren Bronzefiguren. Harry wischt mit dem Daumen über die graue Schmutzschicht eines Bronzeknaben, den er gerade in Arbeit hat. „Das ist bloß die Gußhaut“, sagt er , „die geht dann beim Ziselieren ab, eine Sauarbeit.“ Eine Arbeit für Harry.

Der verwandelt Gips in Bronze, Schmutz in Kunst und in ein wenig klingende Münze. Denn die drei Männer vom Bremer „Atelier für Bildguß – Statuarius“ beherrschen die alte Kunst des Bronzegusses. Wer in Bremen und umzu bildhauert,kommt an diesen Männern kaum vorbei. Doch der Glanz des großen Kunstgeschäfts geht an ihnen vorüber. Wenn der Bronzeknabe später, im Museum, wegen seiner delikaten Oberflächegerühmt wird – so haarfein ziseliert, unglaublich! – dann bleiben die Namen der Kunstgießer unerwähnt. Das ist eben so, das ist das normale Geschäft sagt Harry Heimsoth und zuckt in aller Bescheidenheit mit den Schultern.

„Auf dem Arbeitsmarkt gelten wir als Exoten“, sagt Harry. Wohin sollte ihn das Arbeitsamt schon vermitteln? Die nächste Bildgießerei liegt in Worpswede, und dann kommt erstmal lange nichts mehr. Da haben Harry und seine beiden Kollegen, Volker Borchert und Thomas Schmalz, schon ihren eigenen Laden aufmachen müssen. Vor vier Jahren zogen sie in die bescheidene Bude am Rande von Findorff. Inzwischen ist sie ziemlich vollgestellt mit den Relikten ihrer Aufträge, alten Modellen und Gußformen. Bremen ist ein gutes Pflaster für die Kunstgießer, sagen sie: 90 Prozent ihrer Aufträge kommt von Künstlerinnen und Künstlern; selten müssen auch mal alte Türklinken nachgegossen werden.

Dabei ist Bronze ein Material, das von der jungen Bildhauer-Generation eigentlich kaum noch verwendet wird. „Guck dir Nam June Paik an“, sagt Thomas Schmalz; „das ist der berühmteste Plastiker unserer Zeit, und der schraubt bloß Fernseher zusammen.“ Nicht so in Bremen. Hier waltet noch ein Gefühl fürs Klassische. Das Wirken von Professoren wie Waldemar Otto oder Bernd Altenstein mache sich da immer noch bemerkbar, bis zu den ganz Jungen. Die erste Kundin bei Statuarius war Jana Grzimek – eine Otto-Schülerin. Ihr vergilbtes Foto (“Die erste Kundin“) hängt bei Statuarius an der Wand; inzwischen ist sie Stammkundin. 250 Bildhauerinnen und Bildhauer gibt es in Bremen, schätzen die Gießer; immerhin rund 60 arbeiten wie Grzimek immer wieder mit der altehrwürdigen Bronze.

Für die Kunstgießer hat das Material ohnedies nchts von seiner Faszinationskraft eingebüßt. „Hier, diese Oberflächenspannung“, sagt Thomas Schmalz und fährt mit seiner Hand sachte über den Rücken einer Biberskulptur, „da sind die Künstler immer ganz scharf drauf.“ Und die Gießer auch. Nämlich: Alle Teile müssen sich hübsch plastisch nach außen wölben, „wie aufgeblasen“. Wie beim bronzenen Riesenkissen, das Statuarius gerade auf einem Findorffer Plätzchen aufgestellt hat.

Manchmal aber müssen die Gießer „ein bißchen mehr Schärfe reinbringen“ in die Gravur. Das borstige Biberfell, das der Künstler Klaus Lekien seinem Biber eingeritzt hatte, hat beim Guß irgendwie gelitten. Jetzt ist das ganze Feingefühl der Handwerker gefordert. Die zentnerschweren Tiegel herumwuchten, ist eine Sache der Kunst; eine andere ist die Kleinarbeit mit Skalpell und Schmirgelpapier. „Bildhauer wollen ja unbedingt ihren Duktus, ihre Handschrift wiederfinden“, sagt Thomas Schmalz. Das muß er nun irgendwie nachempfinden, ohne sich selbst künstlerische Freiheiten rauszunehmen. Am Ende steht der Name des Künstlers im Katalog, nicht der des Graveurs.

Dann aber geht das Kunststück raus. Zum Beispiel als Riesenkissen auf Findorffs Platz. Oder als Biberherde, die künftig den Ortsein- und -ausgang von Beverstedt zieren werden. Daß sich die Leute bloß um die Bronze kümmern! Aber Harry ahnt: „Dazu haben die Auftraggeber meistens keine Lust.“ So werden die Biber irgendwann das Schicksal fast aller Bronzeplastiken erleiden: Saurer Regen und Dreckluft verstopfen ihre Poren, machen sie stumpf und dunkel. Einzige Rettung: Wenn die Stücke ordentlich begrabbelt werden. Doch, doch: „Das ist auch etwas sehr Schönes, was da passiert, wenn Menschen die Kunst anfassen oder drauf rumklettern“, sagt Harry. Man denke an die Schweinebande in der Sögestraße. Wunderbar blankgerieben, immer wieder aufpoliert. Da verschwindet die Bescheidenheit für einen kurzen Augenblick, und Künstlerstolz macht sich im Gesicht der Gießer breit. tw