„Sag mir, wo du stehst!“

Ein arbeitsloser Ostberliner brachte auf seinem Mini-Label den perfekten Soundtrack für Ostalgie-Partys auf CD heraus  ■ Von Gunnar Leue

Von wegen unpolitischer Jugend heutzutage. Wenn's um skurillen Freizeitspaß geht, drängen junge Ostler seit dem Untergang der DDR beispielsweise gerne auf Ostalgie-Partys. Da sind FDJ- Hemden, GST-Käppis oder andere Ex-Ostwear gewöhnlich Einlaßpflicht, bevor drinnen „Wünsch dir doch mal Tanzmusik!“ angesagt ist. Die kommt dann vorzugsweise von Puhdys oder Karat, als wären die die eigentlichen Helden des politisch korrekten DDR- Pops. Natürlich waren sie das nicht, davor gab es ja beispielsweise noch den Ostberliner Oktoberklub. Er war das Aushängeschild der DDR-Singebewegung, die mit sozialistischem Agitpop die deutsche demokratische Jugend auf den klassenkämpferischen Weg zu bringen versuchte. Mit blauhemdsärmelig vorgetragenen Singfragen wie „Sag mir, wo du stehst!“ konnte der Chor die ideologische Festigkeit der Jugend zwar nur bedingt erhöhen, aber musikalisch blieb der Song doch selbst den größten Ostverächtern im Sinn. – Heute, wo auch in der DDR das Lied der Marktwirtschaft gepfiffen wird, ist soviel musikalische Markenbekanntheit natürlich Gold wert. Da war es wirklich nur eine Frage der Zeit, daß auch die einstigen Politsongs der DDR den Sprung in die kapitalistischen Plattenläden schafften. Seit einigen Wochen ist eine „Oktoberklub“-Best-of im Handel, die vom Label „BARBArossa“ herausgegeben wird. Dahinter verbirgt sich ein Mann, der dem klassischen FDJ-Alter seit langem entwachsen zu sein scheint und sich am Telefon aus finanzamtlichen Gründen mit „Herr Schulze“ vorstellt. Die Rechte an den Aufnahmen hat er Anfang 1995 von der Ariola erworben. Die war nach der Wende in deren Besitz gekommen durch die Übernahme der Deutschen Schallplatte Berlin GmbH, der Nachfolgerin der DDR-Plattenfirma Amiga. Herr Schulze hat also die alten Prop-Nummern auf CD pressen lassen, was in der DDR mangels CDs nie möglich war, und den Vertrieb der Ariola anvertraut. „Ein unheimlicher Glücksfall“, nennt er das. Denn ohne die Großen in der Branche „läuft nämlich sonst nichts heute“, erkannte der gewiefte Do-it-yourself-Kapitalist ziemlich flink. Weitere Editionen sind die CDs „Dem Morgenrot entgegen – Hymnen“ und andere mit den Nationalhymnen der UdSSR und der DDR in verschiedenen Instrumentalversionen sowie ein Sampler mit FDJ-Liedern.

„Sag mir, wo du stehst!“ fordert allerdings nur ein relativ kleiner Kundenkreis auf. Zielgruppenmäßig irgendwo nicht überraschend liegen die Absatzhochburgen vor allem in Berlin, im Ruhrgebiet, in Bremen und Hamburg. Eben da, wo entweder die einstigen Mitsinge-Bewegten von drüben oder die Immer-schon-Fans von hüben relativ zahlreich wohnhaft sind. Übertriebene Gewinnerwartungen hegt Herr Schulze freilich nicht, es gibt kein festes Planziel: „Wenn's klappt, ist's gut, wenn nicht, na ja.“ Trotzdem sind nächste Projekte bereits angedacht. „Ich hangele mich von Projekt zu Projekt, investiere immer gleich ins nächste“, meint der Hobby- Plattenboß. So feiert das ostdeutsche Kleinunternehmertum fröhliche Urständ, um auch im kapitalistischen System jene Lieder zu verbreiten, die früher vor ebendem in C-Dur gewarnt haben.

Daß solche Politsong-Klassiker wie „Da sind wir aber immer noch“ oder „Lied vom CIA“ für manche vielleicht nur aus realsatirischen Gründen zum Zwecke der Verkultung gekauft werden, macht den Ostberliner nicht gram. Für ihn steht schlicht die rein musikalische Traditionspflege im Vordergrund: „Die Lieder werden sonst vergessen.“ Wenn einige damit vielleicht auch ihre nostalgischen Gefühle befriedigen, könne man dagegen nichts machen.